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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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säuberte ich die Windschutzscheibe, wobei ich darauf achtete, einen von Wiremans Gartenhandschuhen zu tragen - eine Mütze hatte ich ohnehin schon auf. Aber soviel ich feststellen konnte, waren das nur Raupen: schmierig, aber nicht übernatürlich.
    »Nicht schlecht«, sagte Jack durchs offene Fahrerfenster. »Ich entriegle jetzt die Motorhaube, damit du nach dem …« Er verstummte, während er wie gebannt über meine Schulter hinwegstarrte.
    Ich drehte mich um. Die Fahrbahn war kaum mehr breiter als ein Fußweg, der mit alten Asphaltbrocken übersät und mit Dreilappigem Hasenfuß überwachsen war. Ungefähr dreißig Meter vor uns überquerten hintereinanderweg fünf Frösche in der Größe von Cockerspanielwelpen die Straße. Die ersten drei waren in einem Farbton, der in der Natur selten oder nie vorkommt, leuchtend sattgrün; der vierte war blau; der fünfte auf blasse Art orange, als wäre er früher einmal rot gewesen. Sie lächelten, aber ihr Lächeln hatte etwas Starres und Erschöpftes an sich. Sie hüpften langsam, als litten sie an Muskelschwund in den Beinen. Wie der Rotluchs erreichten sie das Unterholz und verschwanden darin.
    »Scheiße, wer waren die? «, fragte Jack.
    »Gespenster«, sagte ich. »Überbleibsel der starken Einbildungskraft eines kleinen Mädchens. Und wie sie aussehen, machen sie’s nicht mehr lange.« Ich stieg wieder ein. »Fahr weiter, Jack. Lass uns fahren, solange wir können.«
    Er ließ den Wagen wieder vorwärtskriechen. Ich fragte Wireman nach der Uhrzeit.
    »Kurz nach zwei.«
    Wir konnten bis zum Tor der ursprünglichen Villa Heron’s Roost fahren. Darauf hätte ich nie gewettet, aber wir kamen tatsächlich dort an. Die Vegetation drängte noch ein letztes Mal heran - Banyanbäume und dicht mit grauen Bärten aus Louisianamoos behangene Krüppelkiefern -, aber Jack jagte den Mercedes hindurch, und plötzlich wich das Unterholz zurück. Hier hatten Wind und Wetter den Asphalt ganz zerfallen lassen, und der letzte Abschnitt war nur noch eine zerfurchte Erinnerung an eine Straße, die aber für den Mercedes genügte, der holpernd und schwankend einen langen Hügel zu zwei Steinsäulen hinauffuhr. Von beiden Seiten der Steinsäulen führte eine mächtige verwilderte Hecke weg, die mindestens fünfeinhalb Meter hoch und weiß Gott wie breit war; sie streckte bereits breite grüne Finger den Hügel hinab in Richtung Dschungel aus. Es gab ein Eisentor, das jedoch halb offen festgerostet war. Ich bezweifelte, dass der Mercedes hindurchpassen würde.
    Dieses letzte Straßenstück säumten auf beiden Seiten uralte Kängurubäume von imposanter Höhe. Ich hielt Ausschau nach auf dem Rücken fliegenden Vögeln, sah aber keine. Übrigens sah ich auch keine von der richtig herum fliegenden Variante, obwohl ich jetzt schwaches Insektensummen hören konnte.
    Jack hielt am Tor und sah uns bedauernd an. »Dieses alte Mädchen passt da nicht durch.«
    Wir stiegen aus. Wireman blieb stehen, um sich die alten, von Flechten überwucherten Messingschilder an den Torsäulen anzusehen. Auf der linken war HERON’S ROOST zu lesen. Auf der rechten stand EASTLAKE, aber darunter war etwas wie mit einer Messerspitze eingekratzt. Früher mochte es schwer zu lesen gewesen sein, aber die aus den Kratzern im Metall wachsenden Flechten ließen es deutlich hervortreten: Abyssus abyssum invocat .
    »Hast du einen Schimmer, was das heißt?«, fragte ich Wireman.
    »Allerdings. Das ist eine Warnung, die oft jungen Juristen mit auf den Weg gegeben wird, wenn sie ihre Anwaltszulassung erhalten. Frei übersetzt bedeutet sie: ›Ein Fehltritt führt zum nächsten.‹ Wörtlich übersetzt besagt sie: ›Der Abgrund ruft nach dem Abgrund.‹« Er betrachtete mich düster, dann widmete er sich wieder der Botschaft unter dem Familiennamen. »Eine Ahnung sagt mir, dass das John Eastlakes abschließendes Urteil gewesen sein könnte, als er diese Version von Heron’s Roost für immer verlassen hat.«
    Jack streckte eine Hand aus, um das eingekratzte Motto zu berühren, ließ sie dann aber wieder sinken.
    Wireman tat es an seiner Stelle. »Das Verdikt, meine Herrschaften … und in Justitias eigener Sprache. Kommt jetzt. Sonnenuntergang ist um Viertel nach sieben, plus/minus, und Tageslicht ist ein flüchtig’ Ding. Mit dem Picknickkorb wechseln wir uns am besten ab. Der ist’ne verdammt schwere puta .«
     
     
     
     
     
     
    XI Aber bevor wir irgendwohin gingen, blieben wir hinter dem Tor stehen, um uns

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