Wahn - Duma Key
real! Es ist ihr Albtraum!«
»Ihr... Albtraum?« In Jacks Augen dämmerte etwas wie Verstehen. Oder vielleicht auch nur ein halbwegs klarer Gedanke. Das genügte mir schon.
»Ihr Albtraum, ihr Butzemann, wovor auch immer sie Angst hatte, wenn das Licht ausgemacht wurde«, sagte ich. »Es ist nur ein weiteres Gespenst, Jack.«
»Woher weißt du das?«
»Zum einen flimmert es wie ein alter Film«, sagte Wireman. »Sieh mal genau hin.«
Der Schwarze war verschwunden, dann wieder da, diesmal vor der mit Rost überkrusteten Leiter, die zum Sprungbrett über dem Pool hinaufführte. Er grinste uns unter seiner roten Mütze hervor an. Sein Hemd war so blau wie seine Breeches, wie ich jetzt sehen konnte.Während er von einem Ort zum anderen glitt, blieben seine krummen Beine die ganze Zeit in unveränderter Stellung wie bei einer Schießbudenfigur. Er war wieder fort, dann erschien er auf der Veranda. Im nächsten Augenblick war er auf der Einfahrt, fast direkt vor uns. Ihn anzusehen machte mir Kopfschmerzen, und es ängstigte mich noch immer... aber nur weil sie Angst gehabt hatte. Libbit.
Als Nächstes stand er auf dem zweispurigen Weg zum Shade Beach hinunter, und diesmal konnten wir das Meer durch sein Hemd und seine Breeches glitzern sehen. Dann verschwand er jäh, und Wireman begann hysterisch zu lachen.
»Was?« Jack wandte sich ihm zu. Wandte sich fast gegen ihn. »Was?«
»Es ist ein gottverdammter Rasenjockey! «, sagte Wireman, noch lauter lachend. »Einer von diesen schwarzen Rasenjockeys, die heutzutage so politisch unkorrekt sind, bloß zu drei- bis vierfacher Größe aufgeblasen! Elizabeth’ Butzemann war der Rasenjockey des Hauses!«
Er wollte noch mehr sagen, konnte aber nicht mehr. Er beugte sich vornüber und lachte so schallend, dass er sich mit den Händen auf seine Knie stützen musste. Ich sah den Witz, konnte aber nicht darüber lachen... und das nicht nur, weil meine Tochter tot in Rhode Island lag. Wireman lachte nur, weil er anfangs so verängstigt wie Jack und ich gewesen war - so verängstigt, wie Libbit gewesen sein musste. Und weshalb war sie verängstigt gewesen? Weil ihr jemand, vermutlich unabsichtlich, die falsche Idee in den fantasievollen kleinen Kopf gesetzt hatte. Ich tippte auf Nan Melda und eine Gutenachtgeschichte, mit der sie ein Kind beruhigen wollte, das nach seiner Kopfverletzung noch quengelig war und vielleicht sogar an Schlaflosigkeit litt. Bloß hatte diese Gutenachtgeschichte sich am falschen Ort festgesetzt, und dort waren ihr Zeene gewachsen.
Mr. Blue Breeches war auch anders als die Frösche, die wir zuvor auf der Straße gesehen hatten. Diese hatten ganz Elizabeth gehört und waren nicht im Geringsten bösartig gewesen. Der Rasenjockey dagegen... er mochte ursprünglich aus dem verletzten Kopf der kleinen Libbit stammen, aber ich vermutete, dass Perse ihn längst für ihre eigenen Zwecke gekapert hatte. Falls jemand es schaffte, so nahe an Elizabeth’ erstes Haus heranzukommen, stand er bereit, um den Eindringling zu verscheuchen. Ihn vielleicht für einige Zeit in die nächste Irrenanstalt zu befördern.
Was bedeutete, dass es hier vielleicht doch etwas zu finden gab.
Jack sah nervös zu der Stelle hinüber, wo der zweispurige Pfad - der wirklich breit genug für einen Karren oder sogar einen Lastwagen zu sein schien - nach unten abfiel, bis er außer Sicht geriet. »Kommt er zurück?«
»Spielt keine Rolle, muchacho «, sagte Wireman. »Er ist nicht real. Außerdem muss dieser Picknickkorb getragen werden. Also ab durch den Schnee! Los, ihr Huskies!«
»Ich dachte, ich verlier schon den Verstand, wenn ich ihn nur ansehe«, sagte Jack. »Verstehst du das, Edgar?«
»Natürlich. Libbit hatte damals eine sehr starke Einbildungskraft.«
»Was ist später damit passiert? «
»Sie hat vergessen, wie man sie gebraucht.«
»Himmel«, sagte Jack. »Das ist schrecklich.«
»Ja. Und ich glaube, diese Art Vergessen ist einfach. Was noch schrecklicher ist.«
Jack bückte sich, hob den Korb hoch und sah dann zu Wireman hinüber. »Was ist da drin? Goldbarren?«
Wireman griff sich die Tragetasche und lächelte unbekümmert. »Ich habe ein paar Extras eingepackt.«
Wir arbeiteten uns über die zugewachsene Einfahrt vor und hielten Ausschau nach dem Rasenjockey. Er kam nicht zurück. Oben an der Verandatreppe stellte Jack den Picknickkorb mit einem kleinen Seufzer der Erleichterung ab. Hinter uns waren flatternde Flügelschläge zu hören.
Wir drehten uns um
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