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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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okay?«
    »Nun, dann will ich dir erzählen, was sonst noch so passiert«, sagte Ilse. Ihre Lippen waren schmal geworden. »Seit sie draußen in Palm Desert ist, ist sie schrecklich oft mit diesem Kerl aus der gleichen Straße zusammen. Sie sagt, dass es dabei nur Kaffee und Mitgefühl gibt - weil Max letztes Jahr seinen Vater verloren hat, weil er Grampy wirklich mag und bla-bla-bla -, aber ich merke, wie sie ihn ansieht, und das... das gefällt mir nicht!« Jetzt waren ihre Lippen fast verschwunden, und ich fand, dass sie so ihrer Mutter auf unheimliche Weise ähnelte. Der Gedanke, der sich damit verband, war seltsam tröstlich: Ich glaube, sie wird zurechtkommen. Sogar wenn dieser heilige Jones-Junge sie sitzen lässt, wird es ihr gut gehen.
    Ich konnte meinen Leihwagen sehen, aber Jack würde noch eine Weile brauchen. Der Abholverkehr kam nur stockend voran. Ich lehnte meine Krücke an meinen Bauch und umarmte meine Tochter, die bis aus Kalifornien gekommen war, um mich zu besuchen.
    »Sei nicht so hart zu deiner Mutter, okay?«
    »Stört es dich nicht mal, dass...«
    »Zurzeit geht’s mir vor allem darum, dass Melinda und du glücklich seid.«
    Sie hatte Ringe unter den Augen, und ich konnte sehen, dass die lange Reise sie trotz ihrer Jugend ermüdet hatte. Ich vermutete, dass sie morgen früh ausschlafen würde, und das war in Ordnung. Wenn mein Gefühl in Bezug auf ihren Freund zutraf - ich hoffte, dass ich mich täuschte, wusste aber, dass ich es nicht tat -, standen ihr in den kommenden Jahren einige schlaflose Nächte bevor.
    Jack war erst beim Terminal von Air Florida, sodass uns noch etwas Zeit blieb. »Hast du ein Foto von deinem Verlobten? Neugierige Väter wollen so was sehen.«
    Ilses Miene hellte sich auf. »Aber sicher!« Das Bild, das sie aus ihrer roten Lederbrieftasche holte, steckte in einer von diesen durchsichtigen Plastikhüllen. Sie friemelte es heraus und reichte es mir. Ich schätze, diesmal ließ ich mir meine Reaktion nicht anmerken, sie behielt nämlich ihr verzücktes (und um die Wahrheit zu sagen, leicht dümmliches) Lächeln. Und ich? Ich fühlte mich einen Augenblick lang, als hätte ich etwas geschluckt, das nicht in eine menschliche Speiseröhre gehörte. Vielleicht ein paar Kugeln Bleischrot.
    Mein Schock kam nicht daher, dass Carson Jones dem Mann ähnelte, den ich an Heiligabend gezeichnet hatte. Darauf war ich vorbereitet, seit ich den kleinen Ring gesehen hatte, der so hübsch an Ilses Finger glitzerte.Was mich schockierte, war die Tatsache, dass das Foto praktisch identisch mit meiner Zeichnung war. Als hätte ich nicht eine Aufnahme von Sophora, Seelavendel oder Tintenbeere, sondern dieses Foto seitlich an meine Staffelei geklemmt. Er trug Jeans und die abgewetzten gelben Arbeitsstiefel, die ich nicht ganz richtig hinbekommen hatte; sein dunkelblondes Haar hing ihm in die Stirn und über die Ohren; in der Hand hielt er ein Buch, von dem ich wusste, dass es die Bibel war. Am verblüffendsten war sein T-Shirt der Minnesota Twins mit der Nummer 48 auf der linken Brust.
    »Wer ist die Nummer achtundvierzig, und wie bist du an der Brown University einem Fan der Twins begegnet? Ich dachte, sie läge im Red-Sox-Land.«
    »Nummer achtundvierzig ist Torii Hunter «, sagte sie und sah mich an, als wäre ich der größte Dummie der Welt. »In der Studentenlounge steht ein Flachbildfernseher, und ich war an einem Juliabend dort, als die Sox gegen die Twins gespielt haben. Trotz der Sommerpause war der Raum gerammelt voll, aber Carson und ich waren die einzigen bekennenden Twins-Fans - er in seinem Torii-T-Shirt, ich mit meiner Mütze. Also haben wir natürlich zusammengesessen und...« Sie zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, der Rest sei Geschichte.
    »Zu welcher Richtung gehört er? Glaubensmäßig, meine ich.«
    »Baptist.« Ilse sah mich leicht trotzig an, als hätte sie Kannibale gesagt. Aber als langjähriges Mitglied der Ersten Glaube-an-nichts-Bestimmtes-Kirche hatte ich keine Einwände gegen Baptisten. Die einzigen Religionen, die ich nicht mochte, waren solche, die darauf bestanden, ihr Gott sei größer als jeder andere. »In den vergangenen vier Monaten waren wir jede Woche dreimal im Gottesdienst.«
    Jack fuhr vor, und Ilse bückte sich nach den Griffen ihrer Gepäckstücke. »Er nimmt sich das Frühjahrssemester frei, um mit einer wirklich wundervollen Gospelgruppe zu reisen. Der Chor macht eine richtige Tournee, ist für Konzerte gebucht und alles. Die Gruppe nennt

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