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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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aus. Das war nicht leicht zu beurteilen, aber... ja, eindeutig eine Frau. Also vielleicht überhaupt keine Robe. Vielleicht ein Kleid? Ein langes rotes Kleid?
    Rot, rot, dann bist du tot.
    Ich blätterte zur ersten Gestalt zurück und sah mir das Buch an, das der Besondere-Neuigkeiten-Kerl in der Hand hielt. Ich warf den roten Stift auf den Fußboden und kolorierte es schwarz.
    Dann betrachtete ich noch mal den jungen Mann und schrieb plötzlich
    HUMMINGBIRDS
in sakral anmutenden Großbuchstaben über seinen Kopf. Danach warf ich den schwarzen Stift zu Boden. Ich hob die zitternden Hände und bedeckte damit mein Gesicht. Ich rief den Namen meiner Tochter, wie man einen Namen ruft, wenn man jemanden sieht, der sich zu nah am Abgrund oder gefährlich dicht an einer viel befahrenen Straße bewegt.
    Vielleicht war ich nur verrückt. Wahrscheinlich war ich verrückt.
    Irgendwann merkte ich, dass ich - natürlich - nur eine Hand vor den Augen hatte. Der Phantomschmerz und das Jucken waren weg. Die Vorstellung, ich könnte verrückt werden - Teufel, ich könnte es längst sein -, blieb dagegen. Eines stand unzweifelhaft fest: Ich war hungrig.
    Wie ein Wolf.
     
     
     
     
     
     
    IX Ilses Flugzeug landete zehn Minuten zu früh. In ihren ausgeblichenen Jeans und dem T-Shirt der Brown University war sie eine derart strahlende Erscheinung, dass ich überzeugt war, Jack Cantori habe gar keine andere Wahl, als sich auf der Stelle hier im Terminal B in sie zu verlieben. Sie warf sich in meine Arme, bedeckte mein Gesicht mit Küssen, lachte dann und stützte mich, als ich an meiner Krücke Schlagseite nach Backbord bekam. Ich machte sie mit Jack bekannt und gab vor, den kleinen Brillanten (zweifellos bei Zales gekauft) nicht zu sehen, der am Ringfinger ihrer Linken blitzte, als die beiden sich die Hand schüttelten.
    »Du siehst wundervoll aus, Dad«, sagte sie, als wir in den milden Dezemberabend hinaustraten. »Richtig braun gebrannt. Das erste Mal wieder, seit du die Freizeitanlage in Lilydale Park gebaut hast. Und du hast zugenommen. Mindestens zehn Pfund. Findest du nicht auch, Jack?«
    »Das kannst du besser beurteilen«, sagte Jack lächelnd. »Ich hole den Wagen. Dir macht’s hoffentlich nichts aus, so lange zu stehen, Boss? Das kann nämlich dauern.«
    »Ich schaff das schon.«
    Wir warteten am Bordstein mit ihren beiden Reisetaschen und ihrem Notebook. Sie sah mir lächelnd in die Augen.
    »Du hast ihn gesehen, nicht wahr?«, fragte sie. »Spiel bloß nicht den Ahnungslosen.«
    »Wenn du den Ring meinst, habe ich ihn gesehen, ja. Und falls du ihn nicht für einen Quarter mit einem Greifer aus einem dieser Glaskästen geangelt hast, dürften Glückwünsche angebracht sein. Weiß Lin davon?«
    »Ja.«
    »Deine Mutter?«
    »Was denkst du, Daddy? Rate mal.«
    »Ich vermute... nein. Weil sie sich im Augenblick solche Sorgen um ihren Dad macht.«
    »Grampy war nicht der einzige Grund, weshalb ich den Ring in meiner Handtasche gelassen habe, solange ich in Kalifornien war - das heißt, außer um ihn Lin zu zeigen. Vor allem solltest du als Erster davon erfahren. Ist das gemein?«
    »Nein, Schatz. Ich bin gerührt.«
    Das war ich wirklich. Aber ich hatte auch Angst um sie, und nicht nur, weil sie erst in drei Monaten zwanzig werden würde.
    »Er heißt Carson Jones und studiert ausgerechnet Theologie - ist das nicht unglaublich? Ich liebe ihn, Daddy, ich liebe ihn so sehr.«
    »Das ist wunderbar, Schatz«, sagte ich, aber ich konnte spüren, dass eine furchtbare Angst wie dunkles Wasser an meinen Beinen hochstieg. Liebe ihn nur nicht zu sehr, dachte ich . Nicht zu sehr. Weil ...
    Ilse beobachtete mich aufmerksam, und ihr Lächeln verblasste. »Was? Was hast du?«
    Ich hatte vergessen, wie schnell sie in so was war - und dass sie in mir lesen konnte wie in einem offenen Buch. Liebe verleiht besondere psychische Kräfte, nicht wahr?
    »Nichts, Schatz. Nur... meine Hüfte tut ein bisschen weh.«
    »Hast du deine Schmerztabletten genommen?«
    »Ach, von denen nehme ich allmählich immer weniger. Im Januar möchte ich sie ganz absetzen. Das ist mein Neujahrsvorsatz.«
    »Daddy, das ist wunderbar!«
    »Obwohl Neujahrsvorsätze gefasst werden, um gebrochen zu werden.«
    »Nicht von dir. Du tust immer, was du einmal angekündigt hast.« Sie runzelte die Stirn. »Das gehört zu den Dingen, die Mama an dir nie mochte. Ich denke, sie ist neidisch.«
    »Schatz, die Scheidung ist einfach irgendwie passiert. Ergreif nicht Partei,

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