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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Hummingbird.
    Würde sie die auch für gut befinden, wenn sie sie zu sehen bekäme? Aber sie würde sie nicht sehen. Niemand würde sie zu Gesicht bekommen. Das dachte ich jedenfalls damals.
    »Dad, wenn du schon immer so viel Talent hattest, wo hat es gesteckt?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte ich. »Und über wie viel Talent wir hier tatsächlich reden, muss erst noch geklärt werden.«
    »Dann besorg dir jemanden, der es dir sagen kann, okay? Jemanden, der was davon versteht.« Sie griff nach der Zeichnung mit dem Briefkasten. »Sogar diese hier... sie ist nichts Besonderes, aber trotzdem irgendwie besonders. Wegen...« Sie berührte das Papier. »Wegen dieses Schaukelpferds. Wieso hast du ein Schaukelpferd dazugezeichnet, Dad?«
    »Weiß ich nicht«, sagte ich. »Ich wollte einfach, dass es da ist.«
    »Hast du es aus dem Gedächtnis gezeichnet?«
    »Nein, das kann ich anscheinend nicht. Wegen des Unfalls oder weil ich’s noch nie gekonnt habe.« Nur konnte ich es manchmal sehr wohl. Beispielsweise wenn es um junge Männer in Twins-T-Shirts ging. »Ich hab eins im Internet gefunden, es ausgedruckt und...«
    »Oh, Scheiße, ich hab’s verwischt!«, rief sie aus. »Oh, Scheiße! «
    »Schon gut, Ilse. Das macht nichts.«
    »Es ist nicht gut, und es macht etwas! Du musst dir ein paar verfickte Malfarben zulegen!« Sie merkte, was sie gesagt hatte, und schlug eine Hand vor den Mund.
    »Du wirst’s kaum glauben«, sagte ich, »aber ich habe dieses Wort schon ein paarmal gehört. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es deinen Freund … dass er solche Ausdrücke nicht gerade...«
    »Da hast du recht«, sagte sie. Leicht bedrückt. Dann lächelte sie. »Aber ihm entflutscht manchmal ein ziemlich lebhaftes ›Verflixt, Mann!‹, wenn ein anderer Autofahrer ihn schneidet. Dad, was deine Bilder angeht...«
    »Ich freue mich einfach nur, dass sie dir gefallen.«
    »Sie gefallen mir nicht nur. Ich staune über sie.« Ilse gähnte. »Und ich bin auch fix und fertig.«
    »Ich glaube, du könntest einen Becher Kakao und ein Bett gebrauchen.«
    »Das klingt himmlisch.«
    »Was davon?«
    Sie lachte. Es war wundervoll, sie lachen zu hören. Der Klang ihres Lachens erfüllte den Raum. »Beides.«
     
     
     
     
     
     
    XI Am nächsten Morgen standen wir am Strand, mit Kaffeetassen in der Hand und bis zu den Knöcheln in der kaum spürbaren Brandung. Die Sonne war eben über dem niedrigen Inselrücken hinter uns aufgegangen, und unsere Schatten schienen sich meilenweit über das stille Wasser zu erstrecken.
    Ilse betrachtete mich ernst. »Ist das hier der schönste Ort der Welt, Dad?«
    »Nein, aber du bist jung, und ich kann es dir nicht verübeln, dass du das denkst. Er ist auf Platz vier der Liste, aber die drei ersten kann niemand buchstabieren.«
    Sie lächelte über den Rand ihrer Tasse hinweg. »Lass hören.«
    »Wenn du darauf bestehst. Platz eins: Machu Picchu. Platz zwei: Marrakesch. Platz drei: Petroglyphs National Monument. Dann auf Platz vier: Duma Key, dicht vor der Westküste Floridas.«
    Ihr Lächeln wurde für ein, zwei Sekunden breiter. Dann verblasste es, und sie betrachtete mich wieder ernst. Ich wusste noch, wie sie mich mit vier Jahren genauso angesehen und gefragt hatte, ob es Zauberei wie in Märchen gebe. Klar gibt’s die, hatte ich behauptet, obwohl ich es damals für eine Lüge hielt. Jetzt war ich mir nicht mehr so sicher. Doch die Luft war warm, ich stand barfuß im Golf und wollte nur nicht, dass jemand Ilse wehtat. Gleichzeitig fürchtete ich, dass ihr das nicht erspart bleiben würde. Aber jeder kriegt seinen Teil ab, nicht wahr? Unter Garantie. Peng, auf die Nase. Peng, ins Auge. Peng, unter die Gürtellinie, man geht zu Boden, und der Ringrichter ist eben mal rausgegangen, um sich einen Hotdog zu holen. Allerdings können die Menschen, die man liebt, diesen Schmerz wirklich vervielfältigen und weitergeben. Schmerz ist die größte Liebesmacht. Sagt Wireman.
    »Weshalb so ernst, Sweetheart?«, fragte ich.
    »Ich habe mir nur gerade überlegt, wie froh ich bin, hergekommen zu sein. Ich habe mir vorgestellt, wie du zwischen einem Altenheim und irgendeiner grässlichen Tiki-Bar mit Wet-T-Shirt-Donnerstagen verrottest. Wahrscheinlich habe ich zu viel Carl Hiaasen gelesen.«
    »Solche Orte gibt’s hier reichlich«, sagte ich.
    »Und gibt’s noch andere Orte wie Duma?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht ein paar.« Aber nach allem, was Jack mir erzählt hatte, glaubte ich das eher nicht.
    »Nun,

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