Wahn - Duma Key
du hast diesen hier verdient«, sagte sie. »Zeit, dich auszuruhen und gesund zu werden. Und wenn all das...« Ihre Handbewegung umfasste den Golf, »... dich nicht gesund macht, weiß ich nicht, was dir sonst helfen könnte. Allerdings...«
»Jaaa?«, fragte ich und vollführte mit spitzen Fingern eine Bewegung, als fischte ich etwas aus der Luft. Familien haben ihre eigene Sprache, und dazu gehört auch die Zeichensprache. Ein Außenstehender hätte mit meiner Geste nichts anfangen können, aber Ilse verstand sie und lachte.
»Also gut, Schlaukopf. Das einzige Haar in der Suppe ist dieses Geräusch, wenn die Flut kommt. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht und hätte beinahe losgekreischt, bis ich gemerkt habe, dass das nur die vom Wasser bewegten Muscheln waren. Ich meine, das stimmt doch? Bitte erzähl mir, dass das Geräusch daher kommt.«
»So ist es. An was hast du gedacht?«
Sie schien tatsächlich zu frösteln. »Mein erster Gedanke war... nicht lachen... eine Parade von Skeletten. Hunderte davon, die ums Haus marschieren.«
Das hatte ich mir nie vorgestellt, aber ich wusste, was sie meinte. »Ich finde das Geräusch irgendwie beruhigend.«
Ein leichtes, zweifelndes Schulterzucken. »Nun... okay. Jedem das Seine. Sollen wir wieder reingehen? Ich könnte uns ein Rührei machen.Vielleicht mit Champignons und ein paar Kräutern.«
»Klingt wunderbar.«
»Seit dem Unfall habe ich dich noch nie so lange ohne Krücke gesehen.«
»Ich hoffe, bis Mitte Januar den Strand eine Viertelmeile nach Süden zu gehen.«
Sie stieß einen Pfiff aus. »Eine Viertelmeile und zurück? «
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Nur eine Viertelmeile. Zurück will ich segelfliegen.« Ich breitete die Arme aus, um es zu demonstrieren.
Sie schnaubte, machte sich auf den Rückweg ins Haus und blieb erneut stehen, als von Süden her ein Lichtpunkt wie ein Heliograf herüberblinkte. Einmal, dann zweimal. Die beiden Punkte waren wieder zu sehen.
»Leute«, sagte Ilse mit einer Hand über den Augen.
»Meine Nachbarn. Im Augenblick meine einzigen Nachbarn. Zumindest glaube ich das.«
»Hast du sie schon kennengelernt?«
»Nein. Ich weiß nur, dass die beiden eine Frau im Rollstuhl und ein Mann sind. Ich vermute, dass die Frau an den meisten Tagen unten am Wasser frühstückt. Und dass das Glitzerding das Tablett ist.«
»Du solltest dir einen Golfwagen anschaffen. Dann könntest du rüberdüsen und Hallo sagen.«
»Irgendwann gehe ich rüber und sage Hallo«, antwortete ich. »Ein Golfwagen kommt nicht infrage. Dr. Kamen hat gesagt, dass ich mir Ziele setzen soll, und ich setze mir welche.«
»Zum Zielesetzen brauchst du keinen Seelenklempner, Daddy«, erwiderte sie, während sie weiter nach Süden spähte. »Aus welchem Haus kommen sie? Aus dem großen, das wie eine Ranch in einem Westernfilm aussieht?«
»Ja, da bin ich ziemlich sicher.«
»Und sonst wohnt hier niemand?«
»Zurzeit nicht. Jack sagt, dass die anderen Häuser im Januar und Februar vermietet sind, aber vorläufig gibt’s hier nur mich und die beiden dort unten. Der Rest der Insel ist reine botanische Pornografie. Pflanzen außer Rand und Band.«
»O Gott, warum? «
»Keinen blassen Schimmer«, sagte ich. »Ich will’s noch rauskriegen - es zumindest versuchen -, aber vorerst bemühe ich mich hauptsächlich, wieder auf die Beine zu kommen. Und das meine ich buchstäblich.«
Wir waren auf dem Rückweg ins Haus. Ilse sagte: »Eine fast unbesiedelte Insel in der Sonne... da sollte es doch Geschichten geben. Es muss praktisch eine geben, findest du nicht?«
»Garantiert«, sagte ich. »Jack Cantori hat angeboten, ein paar Nachforschungen anzustellen, aber ich habe dankend abgelehnt, weil ich dachte, ich kann selbst recherchieren.« Ich schnappte mir meine Krücke, legte den Arm in die beiden Stahlstützen - immer ein beruhigendes Gefühl, nachdem ich ohne sie am Strand gewesen war - und begann den Weg entlangzustapfen. Aber Ilse kam nicht mit. Ich blieb stehen und sah mich um. Sie blickte nach Süden, hatte wieder eine Hand über die Augen gelegt. »Kommst du, Schatz?«
»Ja.« Nochmals ein Lichtblitz vom Strand her - das Frühstückstablett. Oder eine Thermoskanne. »Vielleicht kennen sie die Geschichte«, sagte Ilse, als sie zu mir aufschloss.
»Schon möglich.«
Sie deutete auf die Straße. »Was ist mit der? Wie weit führt sie?«
»Keine Ahnung«, gestand ich.
»Sollen wir sie heute Nachmittag abfahren, um es rauszukriegen?«
»Bist du
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