Wahn - Duma Key
jemand anders zu gehören.
Sie lächelte strahlend. »Der Mann kennt seine Dickinson, Wireman!«
»Sieht so aus«, bestätigte Wireman. Er beobachtete mich aufmerksam.
»Wollen Sie zu Ende lesen, Edward?«
»Ja, Ma’am.«
»Ich würde nicht schneller sein wollen oder grüner als jetzt, wenn du bei mir wärst O du warst der beste aller meiner Tage«
Ich klappte das Buch zu. »Das war der Schluss.«
Sie nickte. »Was waren die besten aller Ihrer Tage, Edgar?«
»Vielleicht diese«, sagte ich. »Ich hoffe es.«
Sie nickte noch mal. »Dann will ich auch hoffen. Hoffen darf man immer. Und, Edgar?«
»Ja, Ma’am?«
»Lassen Sie mich Elizabeth für Sie sein. Ich mag es nicht, am Ende meines Lebens mit Ma’am angesprochen zu werden. Verstehen wir uns?«
Jetzt nickte ich. »Ich denke schon, Elizabeth.«
Sie lächelte, und die Tränen, die in ihren Augen gestanden hatten, rollten ihr übers Gesicht. Es war alt und eine runzlige Ruine, aber die Augen waren jung. Jung.
V Zehn Minuten später standen Wireman und ich wieder am Ende des vom Palacio ans Meer führenden Holzstegs. Er hatte die Dame des Hauses mit einem Stück Limonenkuchen, einem Glas Tee und der Fernbedienung zurückgelassen. Ich hatte zwei von Wiremans Eiersalat-Sandwichs in einer Tüte. Er sagte, sie würden nur altbacken werden, wenn ich sie nicht mitnähme, und ich ließ mich nicht lange bitten. Ich schnorrte auch ein paar Aspirin von ihm.
»Hör zu«, sagte er, »die Sache tut mir leid. Glaub mir, ich wollte dich vorher fragen.«
»Schon gut, Wireman.«
Er nickte, ohne mich jedoch anzusehen. Er blickte auf den Golf hinaus. »Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich ihr nichts versprochen habe. Aber sie wird... jetzt kindisch. Daher beruhen ihre Annahmen wie bei Kindern oft nicht auf Tatsachen, sondern auf dem, was sie gern möchte.«
»Und sie möchte vorgelesen bekommen.«
»Ja.«
»Gedichte auf Tonband oder CDs genügen nicht?«
»Nein. Sie sagt, Hörbücher und Vorlesen unterscheiden sich wie Glaspilze von frischen Champignons.« Er lächelte, sah mich aber noch immer nicht an.
»Warum liest du ihr nicht vor, Wireman?«
Ohne den Blick vom Wasser zu wenden, sagte er: »Weil ich nicht mehr kann.«
»Nicht mehr... weshalb nicht?«
Er überlegte, dann schüttelte er den Kopf. »Nicht heute. Wireman ist müde, muchacho , und sie wird heute Nacht herumgeistern. Wach und streitsüchtig, voller Reue und Verwirrung, während sie glaubt, in London oder Saint-Tropez zu sein. Ich sehe die Anzeichen.«
»Erzählst du’s mir ein andermal?«
»Ja, klar.« Er seufzte durch die Nase. »Wenn du mir deinen zeigen kannst, kann ich dir wohl meinen zeigen, obwohl mir bei dem Gedanken daran unwohl ist. Bist du sicher, dass du den Heimweg allein schaffst?«
»Absolut«, sagte ich, obwohl meine Hüfte wie ein großer Motor pochte.
»Ich würde dich mit dem Golfwagen hinfahren, ganz ehrlich, aber in diesem Zustand - Dr. Wiremans klinischer Ausdruck dafür ist ›intelligent, aber verdummend‹ - neigt sie dazu, sich in den Kopf zu setzen, die Fenster zu putzen … oder den Staub von ein paar Regalen zu wischen... oder einen Spaziergang ohne ihre Gehhilfe zu machen.« Bei diesem Gedanken erschauderte er sichtlich. Seine Reaktion war von der Art, die als Burleske beginnt und real endet.
»Alle Welt versucht, mich in einen Golfwagen zu kriegen«, sagte ich.
»Und du rufst deine Frau an?«
»Ich sehe keine andere Möglichkeit«, sagte ich.
Er nickte. »Guter Junge. Wie die Sache ausgegangen ist, kannst du mir erzählen, wenn ich mir deine Bilder ansehen komme. Wann immer es dir passt. Ich kann eine Pflegehilfe anrufen - Annmarie Whistler -, falls es vormittags sein soll.«
»Okay, danke. Und danke, dass du mir zugehört hast, Wireman.«
»Danke, dass du dem Boss vorgelesen hast. Buena suerte, amigo. «
Ich ging den Strand entlang davon und war ungefähr zwanzig Meter weit gekommen, als mir etwas einfiel. Als ich mich umdrehte, dachte ich, dass Wireman bestimmt fort sein würde, aber er stand noch mit den Händen in den Hosentaschen da, während der zunehmend kalte Wind vom Golf her sein langes ergrauendes Haar zerzauste. »Wireman!«
»Was?«
»War Elizabeth früher selbst Künstlerin?«
Er sagte lange nichts. Ich hörte nur das Rauschen der Wellen, die heute Abend lauter waren, weil der Wind sie vor sich hertrieb. Dann sagte er: »Das ist eine interessante Frage, Edgar. Wenn du sie selbst fragen würdest - und ich rate
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