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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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davon ab -, würde sie Nein sagen. Aber ich glaube nicht, dass das die Wahrheit ist.«
    »Warum nicht?«
    Aber er sagte nur: »Bleib lieber in Bewegung, muchacho . Bevor deine schlimme Hüfte steif wird.« Er winkte mir rasch zum Abschied zu, machte kehrt und folgte seinem länger werdenden Schatten den Holzsteg hinauf, fast bevor ich merkte, dass er wirklich ging.
    Ich blieb noch einen Augenblick stehen, dann wandte ich mich nach Norden, nahm das Big Pink ins Visier und machte mich auf den Heimweg. Es war ein langer Marsch, und bevor ich ankam, verlor mein eigener absurd verlängerter Schatten sich im Strandhafer, aber schließlich schaffte ich es doch. Die Wellen wurden noch höher, und das Murmeln der Muscheln unter dem Haus war wieder in Streit ausgeartet.

WIE MAN EIN BILD ZEICHNET (IV)
    Fangen Sie mit dem an, was Sie wissen, und erfinden Sie es dann neu. Kunst ist Magie, unwidersprochen, aber alle Kunst, und sei sie noch so merkwürdig, beginnt im bescheidenen Alltag. Man darf nur nicht überrascht sein, wenn aus gewöhnlicher Erde unheimliche Blumen sprießen. Elizabeth wusste das. Niemand hatte es ihr beigebracht; sie hatte es selbst gelernt.
    Je mehr sie zeichnete, desto mehr sah sie. Je mehr sie sah, desto mehr wollte sie zeichnen. So funktioniert das immer. Und je mehr sie sah, desto mehr kam ihre Sprache zurück: erst die drei- bis vierhundert Wörter, die sie an dem Tag kannte, an dem sie aus der Kutsche herausgefallen war und sich den Kopf angeschlagen hatte, dann viele, viele mehr.
    Daddy staunte über die rasch zunehmende Raffinesse ihrer Bilder. Das taten auch ihre Schwestern, die Großen Fiesen und die Zwillinge (nicht jedoch Adie; sie war mit drei Freundinnen und zwei zuverlässigen Anstandsdamen in Europa - Emery Paulson, der junge Mann, den sie heiraten würde, war noch nicht auf der Bildfläche erschienen). Nan Melda, Kindermädchen und Haushälterin, respektierte sie ehrfürchtig und nannte sie la petite fille obeah .
    Der Arzt, der sie behandelte, mahnte zur Vorsicht, das kleine Mädchen müsse Aufregung und körperliche Anstrengungen meiden, damit es kein Fieber bekomme, aber im Januar 1926 war die Kleine, eingepackt in Anorak und Gummistiefel, überall am Südende der Insel unterwegs, hatte ihren Zeichenblock dabei und zeichnete alles.
    Dies war der Winter, in dem sie erlebte, wie ihre Angehörigen das Interesse an ihren Zeichnungen verloren - erst die Großen Fiesen Maria und Hannah, dann Tessie und Lo-Lo, danach Daddy, zuletzt sogar Nan Melda. Verstand sie, dass selbst Genie reizlos wird, wenn die Dosis zu hoch ist? Vielleicht, auf eine kindlich instinktive Art, verstand sie es tatsächlich.
    Als Nächstes kam - natürliche Folge des plötzlichen Desinteresses - ihre Entschlossenheit, die anderen dazu zu bringen, das Wunder dessen zu erkennen, was sie sah, indem sie es neu erfand.
    Das war der Anfang ihrer surrealistischen Phase: Erst flogen die Vögel auf dem Rücken, dann gingen Tiere auf dem Wasser, dann kamen die Lächelnden Pferde, die ihr in bescheidenem Maße zu Ruhm verhalfen. Ich glaube, dass sich damals etwas veränderte. Damals schlich sich etwas Dunkles ein, das die kleine Libbit als Einfallstor benutzte.
    Sie begann ihre Puppe zu zeichnen, und als sie das tat, fing ihre Puppe an zu sprechen.
    Noveen.
    Unterdessen war Adriana aus Gay Paree zurück, und anfangs sprach Noveen nur in Adies hoher, fröhlicher La-di-da-Stimme, fragte Elizabeth, ob sie hinky-dinky-parleh-vu könne, und forderte sie auf, ihre Busch zu vermeh. Manchmal sang Noveen sie in den Schlaf, während Bilder des Puppengesichts - groß und rund und bis auf die roten Lippen ganz braun - überlagerten, was Elizabeth tagsüber gesehen hatte.
    Noveen singt: Frère Jacques, frère Jacques, schlähfst du nooch? Schlähfst du nooch? Dormeh-vu, dormeh-vu?
    Manchmal erzählte Noveen ihr Geschichten - konfus, aber wundervoll -, in denen Aschenputtel die roten Schühchen aus Oz trug und die Bobbsey-Zwillinge sich im Zauberwald verliefen und ein Pfefferkuchenhäuschen mit einem Dach aus Pfefferminzbonbons entdeckten.
    Aber dann veränderte sich Noveens Stimme. Sie klang nicht mehr wie Adies Stimme. Sie klang nicht mehr wie die Stimme irgendeines Menschen, den Elizabeth kannte, und sie redete unaufhörlich weiter, auch als Elizabeth Noveen aufforderte, ihre Busch zu vermeh. Anfangs war diese Stimme vielleicht sogar angenehm. Vielleicht auch amüsant. Eigenartig, aber amüsant.
    Das änderte sich jedoch, nicht wahr? Denn Kunst

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