Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
die Servicestelle »Recht« versetzt, die behördenintern als Strafbataillon oder »Archipel Gulag« eingestuft wird. Einer von ihnen erzählt anonym der Illustrierten Stern : »Da waren keine Computer, keine Akten, kein Chef. Es gab nichts zu tun. Wir haben aus dem Fenster geguckt und Urlaubsfotos sortiert.« Oberamtsrat Wehrheim, der jahrelang den Großbanken und prominenten Steuerpflichtigen zugesetzt hatte, beklagte gegenüber dem Stern : »Da saß ich da … und war froh, einen Kirchensteuerfall zu bearbeiten, da ging es um 70 Euro.« Der Steuerfahnder Heiko Weser verliert seine Zeichnungsberechtigung, er darf keinen Brief mehr unterschreiben, er hat nicht einmal mehr einen Schreibtisch, im dienstlichen Telefonverzeichnis steht statt seines Namens nur N.N. (lateinische Abkürzung für »nomen nominandum«, »der zu nennende Name«). Ein anderer Steuerfahnder besitzt keinen Computer, nicht einmal ein funktionierendes Telefon, weil er den Nummerncode hierfür nicht bekommt. Ihm und seiner Ehefrau, die früher ebenfalls in der Steuerfahndung tätig war, setzt die zutiefst demütigende Situation nervlich so zu, dass beide krankgeschrieben werden – nicht von einem privaten Arzt, sondern vom Amtsarzt, der das Mobbing als gesundheitsschädigend diagnostiziert.
Dass Mobbing Arbeitnehmer krank machen kann, ist medizinisch erwiesen. Der von oben gedeckte CSU -Bürgermeister einer bayerischen Stadt setzte seinen Mitarbeitern so zu, dass sich sieben in psychiatrische Behandlung begeben mussten, drei sogar stationär. Beamte sind besonders betroffen, weil sie nicht einfach den Dienstherrn wie andere die Firma wechseln können.
Normalerweise besteht zwischen den Beamten und ihren Vorgesetzten ein enges Vertrauensverhältnis. Dieses ist rechtlich so ausgestaltet, dass die Beamten einer besonderen Treuepflicht gegenüber ihrem Dienstherrn unterliegen – umgekehrt obliegt dem Dienstherrn eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten. In der Regel funktioniert das sehr gut. Wenn aber, wie hier, plötzlich die obersten Vorgesetzten ihre Untergebenen aus rechtswidrigen, sogar strafbaren Beweggründen schikanieren, demütigen, ihnen die Beförderung verbauen, sie disziplinarrechtlich verfolgen – und das über Jahre hinweg, ohne dass die Betroffenen eine Aussicht auf Besserung haben –, reißt das die Untergebenen in einen emotionalen Abgrund. Das Bewusstsein, pflichtgemäß nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben, dafür aber abgestraft zu werden, zerstört ihr berufliches Weltbild.
Wer war verantwortlich für die grob rechtswidrige geheime Amtsverfügung, für die zwangsweisen Versetzungen und Umsetzungen, für die Zerschlagung des Frankfurter Bankenteams, für die unsägliche Treibjagd gegen die nicht fügsamen Steuerbeamten? Es war eindeutig die politische Spitze.
Hinter der geheimen Amtsverfügung, die in strafbarer Weise reiche Steuerhinterzieher begünstigte, stand Weimars Finanzministerium. Und wie schon erwähnt, wurden Ende 2002 dessen Vertreter im Finanzamt Frankfurt V vorstellig, um die Weisung durchzusetzen. Weimar war damit persönlich verantwortlich. Es ist davon auszugehen, dass er in enger Absprache mit Roland Koch handelte. Das Vorgehen der Steuerfahndung gegen die Frankfurter Großbanken und reiche Steuerhinterzieher war keine Routineangelegenheit, sondern eine Staatsaffäre. Für Roland Koch musste das absolute Chefsache sein. Bankbosse und vermögende Steuerpflichtige waren vermutlich längst an ihn und Weimar herangetreten – man traf sich ja laufend auf irgendwelchen Empfängen und Veranstaltungen – und hatten sich über die Steuerfahnder beschwert! Koch und Weimar mussten davon ausgehen, dass die Parteispenden dieser wichtigen Geber schrumpfen oder ganz wegfallen würden, wenn man sie nicht vor dem Zugriff der Steuerfahndung schützte. Das hätte die Wiederwahl der Regierung Koch gefährdet.
Am 15 . September 2004 wendet sich Amtsrat Schmenger schriftlich an Koch und Weimar. Er bittet sie unter anderem um die »Verfolgung von Straftaten und Dienstpflichtverletzungen in der hessischen Finanzverwaltung« sowie um eine verwaltungsinterne Bereinigung. Er erhält keine Antwort. Auf einen zweiten Brief Schmengers vom 22 . November 2004 reagiert Koch wiederum nicht. Weimar lässt seinen Staatssekretär mitteilen, die Sache werde überprüft. Auch auf zwei weitere Briefe Schmengers antworten Koch und Weimar nicht. Zu bedenken ist: Es handelte sich hier um Petitionen. Das Petitionsgrundrecht des Artikel
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