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Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)

Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)

Titel: Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schlötterer
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empfunden, wenn es ihm so ergangen wäre mit Strafanzeigen zu Schwarzgeldverschiebungen, Steuerhinterziehung und Geldwäsche?
    Mollath hatte sich schon vor der Trennung von seiner Frau wegen der Schwarzgeldverschiebungen mehrmals an die Direktoren der HypoVereinsbank und sogar an den Vorstandsvorsitzenden Dieter Rampl gewandt. Er bat sie inständig darum, seine Frau von den illegalen Geschäften freizustellen. Doch Pfäfflin verstieg sich dazu, sogar diese Bitte als Symptom des Wahns hinzustellen. Mollath, postulierte er, hätte stattdessen seine Ehefrau bei der Polizei anzeigen müssen! Dass Mollath schon aufgrund seiner rechtlichen Pflichten aus dem Eheverhältnis gehalten war, zunächst den anderen Weg zu gehen, kümmerte Pfäfflin nicht. Er fuhr fort, normales Verhalten in wahnhaftes umzumünzen. Erst auf Vorhaltung des Verteidigers räumte er ein, er halte »den Gedanken, die Ehefrau schützen zu wollen, für nachvollziehbar«.
    Pfäfflin sollte auch eine Prognose über die künftige Gefährlichkeit Mollaths abgeben. Dazu hatte er geschrieben: »Vor dem Hintergrund dessen, was in Abschnitt 7 . 1 gesagt wurde, liegt die Annahme nahe, dass Herr Mollath womöglich wieder den im Einweisungsurteil genannten Taten vergleichbare Taten begehen wird.« Der Anwalt hielt ihm vor, dass in dem zitierten Abschnitt dazu nichts stehe. Die Antwort Pfäfflins: »Das ist ein Schreibversehen, es steht in Abschnitt 7 . 2 .« Aber auch in diesem Abschnitt fand der Anwalt nichts. Daraufhin Pfäfflin: »Ich hätte vielleicht besser schreiben sollen: ›vor dem Hintergrund der diagnostischen Einschätzung‹.« Schwuppdiwupp, anstatt pflicht gemäß seine Prognose mit Fakten zu begründen, verwies er einfach auf seine Diagnose, als ob sich allein daraus schon die Prognose selbst ergäbe.
    Als ihm der Anwalt weiter vorhielt, er habe bloß von der Möglichkeit künftiger Straftaten Mollaths gesprochen, während der Bundesgerichtshof für die Fortdauer der Unterbringung eine gehobene Wahrscheinlichkeit verlange und das Bundesverfassungsgericht neuerdings sogar eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, reparierte Pfäfflin auch diesen Mangel geschwind: »Ich habe da vielleicht eine fast zu weiche Formulierung gewählt … Ich halte die Wahrscheinlichkeit für sehr hoch, weil Mollath keine Krankheitseinsicht zeigt und sich nicht therapieren lässt.«
    Es war unfassbar, wie dieser Sachverständige für Forensische Psychiatrie im Handumdrehen alles passend machte. Er musste doch erkennen, dass seine Wahndiagnose ohne Grundlage war. Wie konnte er dann Mollaths angebliche Gefährlichkeit damit begründen, dass er sich nicht therapieren lasse?
    Zur gleichen Zeit fand im Bayerischen Landtag ein Expertenhearing zum Entwurf eines neuen Unterbringungsgesetzes statt. Prof. Norbert Nedopil von der Psychiatrischen Klinik der Universität München stellte dabei nüchtern fest: »Ohne Fakten gibt es keine Prognose.« Das gilt logischerweise erst recht für die Diagnose einer Krankheit. Pfäfflin war ein erfahrener Gutachter, er konnte unmöglich an seine eigene Argumentation geglaubt haben.
    Das sah auch Dr. Friedrich Weinberger, Vorsitzender der renommierten Walter-von-Baeyer-Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie, in einem von ihm erstellten Gegengutachten nicht anders, das die Solidargemeinschaft »Gustl Mollath« initiiert hatte. Weinberger, selbst Psychiater und Träger des Bundesverdienstkreuzes, fällte ein vernichtendes Urteil über Pfäfflin: Er habe seine Diagnose »aus Fahrlässigkeit oder Absicht« falsch gestellt. Jetzt, im Anhörungstermin vom Verteidiger damit konfrontiert, tat Pfäfflin es ab als »satirische Parodie eines Gutachtens«. Dem Gericht genügte dies. Trotz Antrags des Verteidigers hatte es Weinberger nicht einmal geladen.
    Es war ein bizarres Szenario, das sich da abspielte. Dem Gericht oblag eine Amtsermittlungspflicht. Es hätte Pfäfflin eindringlich befragen, ihm die offenkundigen Mängel seines Gutachtens und seiner Aussagen vorhalten müssen. Nichts dergleichen geschah. Fragen an Pfäfflin stellten ausschließlich der Verteidiger und schließlich auch Mollath. Kahler stellte keine einzige Frage, die Beisitzer schauten mit hängenden Köpfen vor sich hin. Zwar vermerkt das Protokoll eine Frage des Vorsitzenden. Doch die hatte der Verteidiger gestellt – der Vorsitzende reichte sie lediglich an Pfäfflin weiter. Was ich im Gerichtsgebäude von Bayreuth erlebte, hatte mit dem, was Gesetz und Rechtsprechung vorgaben, nichts

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