Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
mehr zu tun. Ich war entsetzt, beobachtete stumm, ein Rederecht hatte ich nicht.
Die Sitzung war beendet. Als sich die Tür des Gerichtssaals hinter uns schloss, waren der Pflichtverteidiger, seine Kollegin und ich uns einig: Die Richter würden Mollath nicht freilassen, die Anhörung war eine reine Formsache gewesen. Dennoch hatte ich noch eine vage Hoffnung. Ich sagte: »Wenn die da drinnen nicht von allen guten Geistern verlassen sind, dann lassen sie Mollath frei. Sie haben meine Analyse und die Gutachten des Dr. Weinberger und des Dr. Simmerl in Händen. Daher müsste ihnen klar sein, dass ihnen keine Ausrede bleibt, wenn der Fall zum öffentlichen Skandal wird.«
Mollath, bis dahin von Journalisten und Polizisten umringt, stand unversehens vor mir. Als ich mit ihm sprach, glitt mein Blick an ihm herunter, und ich sah, dass er mit Handschellen gefesselt war. Da ließen mich das Bewusstsein der Demütigungen, denen der Mann ausgesetzt war, und all des Leids, das man ihm zugefügt hatte, die Fassung verlieren. Dem Missbrauch der Amtsgewalt ohnmächtig zusehen zu müssen, war zu viel. Mir stiegen die Tränen in die Augen – ich musste mich abwenden. Von den Journalisten um ein Statement gebeten, presste ich heraus: »Als ehemaliger Ministerialbeamter schäme ich mich, dass so etwas in einem angeblichen Rechtsstaat möglich ist.« Mollath wurde abgeführt.
Die Einschätzung, dass der Vorsitzende Kahler und seine Beisitzer Mollath weiterhin wegsperren würden, sollte sich bewahrheiten. Sie ordneten die Fortdauer für ein weiteres Jahr an. In ihrem Beschluss erwähnten sie die Einwände nicht. Mit einer Ausnahme: Sie begründeten, warum Mollaths Angaben über die Schwarzgeldverschiebungen Wahnvorstellungen waren. Dazu führten sie aus: »Zu der von dem Untergebrachten immer wieder thematisierten Frage, ob seine (damalige) Ehefrau tatsächlich an illegalen Finanztransaktionen beteiligt war«, habe der Sachverständige Pfäfflin »ausdrücklich« erklärt, sie spiele für die Beurteilung, ob ein Wahn vorliegt, keine entscheidende Rolle. Die Gedanken Mollaths kreisten »um einen fernen Punkt von Unrecht, das sich in der Welt ereigne. Das sei der Kristallisationspunkt seiner wahnhaften Störung. Dazu gehöre, dass er sich in vielfältiger Weise verfolgt fühle.«
Jetzt zeigte es sich: Diese surrealistische Aussage Pfäfflins war für die Richter Gold wert! Damit hatte er die bis dahin klaffende Wunde in der Beweisführung, dass Mollath unter einem Wahnsystem leide, endlich mit einem Pflaster überklebt. Auf die Realität kam es gar nicht an! Das hatte der Herr Sachverständige sogar »ausdrücklich« gesagt, wie die Kammer hervorhob, also berief sie sich darauf. Dass der logische Gegensatz zwischen Wahn und Wirklichkeit irrelevant sein sollte, war freilich eine in der Psychiatrie völlig neue These. Würde sie sich durchsetzen, wüchsen den psychiatrischen Sachverständigen ungeahnte Kompetenzen zu. Sie könnten jeden Angeklagten, jeden Prozessgegner für geisteskrank erklären, je nachdem ob seine Gedanken angeblich um einen »fernen Punkt von Unrecht« kreisten oder nicht.
Scharfsinnig erkannten die Richter überdies, dass es geboten war, die HypoVereinsbank und deren Schwarzgeldkunden nicht zu belasten. Diese sparten sie im Text aus, indem sie wahrheitswidrig nur von möglicherweise illegalen Finanztransaktionen der Ehefrau sprachen. Mollath hatte außerdem nicht lediglich »thematisiert«. Er hatte Ross und Reiter genannt!
Aber da war doch der erfahrene Dr. Weinberger, der bei Mollath keine Geisteskrankheit hatte feststellen können. Sein Gutachten schoben die Richter beiseite, weil es »von Personen in Auftrag gegeben worden ist, die die Unterbringung des Gustl Mollath als unrechtmäßig ansehen«. Und weil es nicht objektiv sei. War der Leitende Arzt Dr. Simmerl, der zuvor Mollath im Auftrag des Amtsgerichts Straubing untersucht hatte und ebenfalls keine Geisteskrankheit feststellen konnte, etwa auch nicht »objektiv«?
In der Begründung der Bayreuther Kammer lugte ein unscheinbarer Satz hervor: »Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragt, die Fortdauer der Unterbringung anzuordnen.« Die Staatsanwaltschaft setzte also munter ihr Treiben fort, obwohl sie und sicher auch Justizministerin Beate Merk meine Ausarbeitung vom 28 . März 2011 kannten. Das ließ Rückschlüsse zu.
Entlarvend war, dass die gleiche Vollstreckungskammer andererseits wenige Monate zuvor einen Straftäter, der zunächst seine
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