Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
ihm noch eine halbe Stunde vor dem Termin besprechen. Aber Mollath blieb aus. Erst nach 9.00 Uhr fuhr ein Polizeiwagen vor, zwei Polizisten brachten Mollath. Warum so verspätet? Offensichtlich wollte man den Kontakt mit dem Verteidiger und der Presse behindern.
Bevor die Sitzung begann, machten die Fernsehleute draußen auf dem Gang noch ein Interview mit Mollath. Er sprach sehr ruhig, sagte, er habe überhaupt keine Angst, das habe er schon hinter sich. Auf alle Fragen antwortete er erstaunlich gefasst, ohne ein einziges aggressives Wort gegen diejenigen, die an seinem Schicksal schuld waren. Doch dann, zum Schluss, brach es aus ihm heraus. Ein unterdrücktes Aufschluchzen, nur ein paar Sekunden, dann hatte er sich wieder in der Gewalt.
Die Sitzung begann. Der Vorsitzende Richter Werner Kahler belehrte mich, es handle sich um eine nicht öffentliche Verhandlung. Daraus ergäben sich für mich Geheimhaltungspflichten. Das war falsch. Eine Geheimhaltungspflicht besteht nur dann, wenn die Öffentlichkeit vom Gericht ausgeschlossen wird, nicht aber wenn eine Verhandlung von vornherein nicht öffentlich ist. Zudem hätte die Kammer die geheim zu haltenden Tatsachen bezeichnen müssen, was nicht geschah. Vor allem jedoch sollen Geheimhaltungsvorschriften nicht das Gericht schützen, sondern Prozessbeteiligte. Mollath aber wollte keine Geheimhaltung, eben deswegen hatte er Öffentlichkeit beantragt.
An einem Seitentisch saß Prof. Friedemann Pfäfflin, der psychiatrische Sachverständige, ein Mann mit düsteren Gesichtszügen. Verstohlen blickte er immer wieder zu mir herüber. Der Verteidiger hatte gerade an ihn zwei, drei Fragen gerichtet, da fuhr der Vorsitzende plötzlich die Anwältin aus Zieglers Kanzlei in scharfem Ton an: »Was machen Sie dahinten? Schreiben Sie etwa mit?« Die Anwältin zuckte erschreckt zusammen, bejahte. Kahler untersagte ihr mitzuschreiben. Das war nicht rechtens. Wo steht denn geschrieben, dass man in einer nicht öffentlichen Sitzung nicht mitschreiben darf?
Was Pfäfflin bei seiner Befragung durch den Pflichtverteidiger von sich gab, war so erstaunlich, dass es in die Annalen der Forensischen Psychiatrie eingehen sollte. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte, wie ausgeführt, seinem Urteil die Diagnose zugrunde gelegt, Mollaths Angaben über die Schwarzgeldverschiebungen seien paranoide Wahnvorstellungen – eine Prüfung dieser Angaben war jedoch nie erfolgt. Pfäfflin hätte daher in seinem Gutachten rügen müssen, dass der ursprünglichen Diagnose »Wahn« jede Grundlage fehlte. Doch er tat das genaue Gegenteil. Er schrieb: »Die Einweisungsdiagnose der wahnhaften Störung gilt aus meiner Sicht auch heute noch.« Denn Mollath sehe sich »als einen Menschen, der voll bei Verstand ist … und Wissen von unrechtmäßigen Vorgängen im Bankgewerbe hat, das mithilfe der befassten juristischen und psychiatrischen Instanzen unterdrückt werden soll«. Allerdings liege weder eine Paranoia noch Schizophrenie vor (wie der Erstgutachter Leipziger steif und fest behauptet hatte), sondern eine psychische Störung.
Daraufhin stellte Anwalt Ziegler die Frage, ob man denn von Wahn sprechen könne, wenn die Angaben zu den illegalen Geldgeschäften der Realität entsprächen. Die verblüffende Antwort des Friedemann Pfäfflin: Das könne man trotzdem! Es sei hier so, »dass die Gedanken des Untergebrachten um einen fernen Punkt von Unrecht kreisen, das sich in der Welt ereignet. Dabei handelt es sich um den Kristallisationspunkt seiner wahnhaften Störung. Das reale Geschehen spielt lediglich eine untergeordnete Rolle.« Dass der Wahn der Gegensatz zur Wirklichkeit ist, störte den Herrn Professor mitnichten.
Überdies offenbarte er nicht, was man sich unter diesem »fernen Punkt von Unrecht«, das draußen in der Welt geschieht, vorzustellen habe. Als Gutachter hatte er sich auf Fakten zu stützen, er aber verwies ins Imaginäre – notgedrungen, weil er seine Diagnose »Wahn« aufrechterhalten wollte. Natürlicherweise kreisten die Gedanken Mollaths nicht um einen fernen, sondern sehr nahen Punkt von Unrecht. Der bestand darin, dass er seit Jahren in einer psychiatrischen Anstalt weggesperrt wurde.
Sodann begründete Pfäfflin das angebliche Wahnsystem zusätzlich damit, dass Mollath »sich in vielfältiger Weise verfolgt fühlt«. Ja, welche Meinung sollte Mollath denn sonst von den Staatsanwälten und Richtern haben, die ihn ins Unglück gestoßen hatten? Was wohl hätte Friedemann Pfäfflin
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