Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
stellen.« Sie habe nach Wiederaufnahmegründen »gesucht« und an dem Tag, als sie den ersten Grund gesehen habe, »sofort« das Wiederaufnahmeverfahren angeordnet. Und nochmals: »Ich habe in keiner Weise gezögert. Als Justizministerin konnte ich erst handeln, als ich die rechtliche Möglichkeit gesehen habe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich natürlich insofern gehandelt, als ich gesucht habe: Wo kann man anpacken?« Demnach hatte sie ein ganzes Jahr lang im Justizpalast fieberhaft auf ihrem Schreibtisch gewühlt, bis sie dort unverhofft auf die eidesstattliche Versicherung des Zahnarztes Braun stieß? Gleichzeitig ereiferte sie sich in der Sendung darüber, wie brandgefährlich Mollath sei – trotz der ihr bekannten Wiederaufnahmegründe. Es war nicht zu fassen. Und ebenso wahrheitswidrig behauptete sie erneut, Mollath sitze nicht in der Psychiatrie, weil er Angaben über Schwarzgeldverschiebungen gemacht habe, sondern aufgrund seiner Straftaten. Als ihr Dieter Hanitzsch daraufhin energisch widersprach, konnte Moderator Helmut Markwort sie nur noch dadurch retten, dass er die Diskussion abrupt beendete und vom Wetter sprach.
Was die vorgebliche Retterin Mollaths den Fernsehzuschauern verschwieg: Nur wenige Tage zuvor hatte die Staatsanwaltschaft bei der Vollstreckungskammer wiederum die Fortdauer seiner Haft beantragt – zweifellos in Absprache mit Merk.
Narzissmus und Hitler-Hügel
Über die Wiederaufnahmeanträge hatte das Landgericht Regensburg zu entscheiden. Unabhängig davon, hatte die Vollstreckungskammer Bayreuth wie alljährlich über die Fortdauer von Mollaths Inhaftierung zu befinden. Für den 18 . April 2013 hatte sie seine Anhörung angesetzt. Journalisten und Fernsehleute in großer Zahl belagerten den Sitzungssaal. Zunächst hatte das Gericht Fernsehaufnahmen innerhalb des Gebäudes verboten, Mollath sollte anscheinend nicht vor die Kameras kommen. Als der Justitiar der ARD dagegen protestierte, knickte das Gericht ein. Mollath wurde von den Polizisten erstmals ohne Fesselung vorgeführt, die Angst vor der Presse war zu groß. Ruhig und sachlich antwortete er auf deren Fragen, dann schloss sich hinter ihm die Türe des Gerichtssaals.
Was sich dort abspielte, war surreal. Wie schon 2011 hatte mich Mollath als Person seines besonderen Vertrauens bezeichnet. So durfte ich als Beobachter den Ablauf verfolgen. Die Öffentlichkeit hatte die Kammer ausgeschlossen. Vorsitzender Richter war wieder Kahler, Beisitzer waren der Richter Schwarz und eine Richterin. Wozu wurde Mollath, der von seinen Strafverteidigern Gerhard Strate und Erika Lorenz-Löblein sekundiert wurde, überhaupt angehört? Es war die jährliche Stellungnahme Leipzigers und seines Stellvertreters Zappe, ob Mollath weiterhin wegzusperren sei. Das vorgelegte Attest erwies sich als skurriles Produkt.
Die bisherige Diagnose »paranoider oder schizophrener Wahn« war mittlerweile sogar öffentlich widerlegt durch den Revisionsbericht der HypoVereinsbank und die eingeleiteten Ermittlungsverfahren der Steuerfahndung gegen 19 Personen. Trotzdem schrieb man ungeniert im Attest, man gehe »weiterhin in Übereinstimmung mit dem Anlassgutachten von einer wahnhaften Störung« aus. Bauernschlau vermied man freilich die Vokabel »Schwarzgeldverschiebungen«. Worin bestanden denn dann die Wahnvorstellungen? Die früher angeführte Misshandlung der Ehefrau war ebenfalls weggefallen, die angeblichen Reifenstechereien hatten die Gerichte schon vorher nicht mehr erwähnt. Dennoch endete das Attest mit dem unglaublichen Satz, dass »weitere Straftaten, wie die Anlasstaten, zu erwarten sind«. Im Widerspruch dazu aber wurde ausgeführt, dass eine Beurteilung Mollaths nicht möglich sei, weil er sich weiterhin jeder Untersuchung und Therapie entziehe. Vielsagend war allerdings, dass der Anstaltspsychologe seine Unterschrift verweigert hatte!
Das Gutachten konnte denn auch nicht den geringsten Anhaltspunkt als Beleg anführen, dass Mollath geisteskrank oder sogar gefährlich sei. Aus dem Geschreibsel ragten allerdings zwei abstruse Argumente heraus. Zum einen: Der Umstand, dass Mollath sich momentan in den Medien und bei der Justiz vertreten sehe, bedeute für ihn »aus forensisch-psychiatrischer Sicht eine massive narzisstische Aufwertung«. Zum anderen: Mollath habe sich bei einem Presseinterview geweigert, auf den Hügel, auf dem das Gebäude der Anstaltsleitung stehe, hinaufzusteigen – das sei der »Hitler-Hügel«. Mollath stellte klar, dass er
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