Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
-Vorsitzender!
Weil die CDU in Bonn ohne die von ihm beherrschte CSU nicht regierungsfähig war, erkannte Strauß, dass er auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen musste. Unter Adenauer jagte eine Affäre die andere. Selbst über die Spiegel- Affäre wäre er nicht gestürzt, hätte nicht der Koalitionspartner FDP seinen Rücktritt erzwungen. Da die CSU aber weiter unentbehrlich war, blieb er dennoch mächtig. Im Laufe der vielen Jahre machte ihn seine Schlüsselstellung schier unangreifbar, was auch immer er anstellen mochte. Er versuchte nicht einmal mehr, die Contenance zu wahren – am Schluss stand bald jede zweite Woche ein anderer Skandal in der Zeitung. Er schämte sich nicht vor denjenigen, bei denen er Bargeldsummen abkassierte. Er schämte sich nicht einmal vor Begleitern, sich immer wieder mit Prostituierten einzulassen. Er schämte sich nicht, sich immer wieder zu besaufen, herumzubrüllen, andere unflätig zu beschimpfen. Seine grenzenlose Schamlosigkeit ist das, was einen fassungslos macht. Konrad Mayer, Amtschef des Finanzministeriums, warnte mich einmal: »Sie kennen Strauß nicht, dem ist alles wurscht!«
Bei seiner Kanzlerkandidatur 1980 hatte er öffentlich versichert: »Ich habe keine dunkle Seite wie andere, bei mir weiß jeder, woran er ist.« Man sieht: Das Bewusstsein, dass er korrupt war, dass er einen mutmaßlich illegalen, vermutlich riesigen Bargeldschatz aufgehäuft hatte und lange Zeiten der Öffentlichkeit unbekannte Konten in der Schweiz unterhielt, dass er laufend gegen Recht und Gesetz verstieß, dieses Bewusstsein trieb ihn um. Er glaubte offenbar, alle täuschen zu können, vermutlich weil er alle für geistig minderwertig hielt. Aber das war der Irrtum, an dem er als Kanzlerkandidat scheiterte. Denn dass er so dachte, war für die Mehrheit der Bundesbürger zu erkennen oder zu erahnen. Im Verlauf seines Wahlkampfs spürte er, dass er mit seinem Täuschungsversuch gescheitert war. Da erfasste ihn Verzweiflung. Seine Tochter Monika gab in Interviews preis, dass er mehrmals nachts mit seiner Frau Marianne tief deprimiert im Wohnzimmer gesessen sei und geweint habe, weil er die »Verleumdungen« nicht mehr habe ertragen können. Dabei kannten die angeblichen Verleumder überhaupt nur kleine Bruchstücke seiner dunklen Seite.
Immerhin gelang es ihm, sich hinter ihrem Rücken unendlich zu bereichern. Da konnte er dann wieder lachen, wenn auch nur ins Fäustchen. Er konnte sich sagen: Ich bin doch schlauer als sie alle.
Strauß verachtete nahezu jedermann. Hartnäckig unterstellte er seinen Mitmenschen Lebenslügen, bezichtigte seine Umwelt der »Realitätsverkennung«, höhnte über »Wirklichkeitsverluste« und »Selbsttäuschungen« und spottete über die »Traumtänzer« (so Jürgen Leinemann). Der Nobelpreisträger Otto Hahn war für ihn »ein alter Trottel, der die Tränen nicht halten und nachts nicht schlafen kann, wenn er an Hiroshima denkt«. Wie sehr muss er erst recht alle diejenigen verachtet haben, die ihm zujubelten, Loblieder auf ihn sangen, ihm gar eigenes Geld hinterherwarfen oder sich untertänig vor seiner Majestät verneigten!
Seine Intelligenz wurde durch seinen hemmungslosen Charakter blockiert, wenn es um seine Interessen ging. Sein chaotisches Verhalten als Bundesverteidigungsminister beweist es. Dass er damals Atomwaffen für die Bundeswehr wollte, was er zunächst vehement abstritt, später aber zugab, sollte vermutlich nur seine eigene Machtposition erhöhen. Er wollte sagen können: Ich, Strauß, bin Herr über Atombomben! Der Spiegel , der ihm das seinerzeit vorwarf, hat ihn zweifellos richtig eingeschätzt.
Wenn der Kabarettist Helmut Schleich Strauß imitiert, wie er maßlos in seinen Schimpftiraden über Freund und Feind herzieht, jeden für total unfähig, ja als Trottel erklärt, in den für ihn typischen bildhaften, witzigen Formulierungen, dann muss man unwillkürlich lachen. Doch man muss sich vor Augen halten: Strauß wollte nicht als Komiker oder Hanswurst auftreten, er meinte das alles todernst. Wenn man sich das nicht klarmacht, wird er verharmlost zu einem witzigen Original.
Hemmungslose Herrschaftspraktiken und Aufstieg und Fall eines Blenders
Viele Menschen im Bayernland, mit denen man über Strauß spricht, meinen, heute würde er über seine Affären stürzen, die Bevölkerung sei kritischer geworden, er sei »gerade noch rechtzeitig gestorben«. Diese These erscheint zweifelhaft. Es gibt Beobachtungen, die dafür sprechen, dass
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