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Wahn

Wahn

Titel: Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Kessler
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bestens über Elsas Krankengeschichte Bescheid zu wissen und erkundigte sich mitfühlend nach ihrem Befinden. Dann erzählte sie, dass eine Verwandte von ihr ebenfalls an MS erkrankt war und auch über eine längere Zeit mit Spritzen behandelt worden sei. Irgendwann hätte sie die Nase voll davon gehabt und war einer Empfehlung folgend zu einer Homöopathin gegangen, die sie auf ein homöopathisches Mittel eingestellt hatte. Seit Jahren ging es ihr unter dieser alternativen Behandlung sehr gut. Keine Symptome mehr, kein Fortschreiten der Erkrankung. Elsa erkundigte sich nach dem Namen der Homöopathin. Zum ersten Mal seit langer Zeit keimte in ihr so etwas wie Hoffnung auf. Vielleicht würde sie doch noch einmal ein ganz normales Leben führen können. »Der Name lautet Gloria Meiering. Sie behandelt nicht nur homöopathisch, sondern auch mit Hypnose und mit Transaktionsanalyse.«
    »Selbstverständlich ist Elsa sofort hingegangen. Für die Perspektive, ohne Medikamente ganz gesund zu werden, wäre sie bis ans Ende der Welt gelaufen«, sagte Raphael. Ich schaute auf die Uhr. Es interessierte mich sehr, zu erfahren, wie es mit Elsa weitergegangen war, allerdings hatte ich dieses Gespräch nur zwischen zwei andere Termine eingeschoben. Ich ging zur Tür und sagte der Sekretärin: »Sagen Sie doch den Oberärzten, sie sollen die Besprechung ohne mich beginnen, ich komme etwa eine viertel Stunde später dazu.« »So«, sagte ich zu Raphael, »jetzt haben wir etwas Zeit dazugewonnen, erzählen Sie weiter.«
    »Die Frau Meiering muss Elsa sehr beeindruckt haben«, fuhr Raphael fort. »Schon ihre Behandlungsräume waren bis ins Detail durchdacht, sodass man sich in eine Welt außerhalb der Realität versetzt fühlte. Der Duft von Essenzen, eine geheimnisvolle Beleuchtung, dicke Teppiche, eben alles was dazu gehört. Frau Meiering war etwa sechzig Jahre und korpulent. Sie trug ein braunes, knöchellanges, weit geschnittenes Kleid und um den Hals ein langes orangefarbenes Seidentuch. Das erste Gespräch dauerte mehr als zwei Stunden und Elsa hatte das Gefühl, dass niemand zuvor sich so intensiv für sie interessiert hatte. Frau Meiering wollte wissen, auf welcher Seite sie einschlafe, ob sie heiße oder kalte Getränke bevorzuge und dergleichen mehr. Während des Gespräches merkte sie, dass sie es bis dahin gar nicht gewohnt gewesen war, über sich zu reden. Sie empfand es als außerordentlich befriedigend, so ausführlich im Zentrum des Interesses zu stehen.«
    »Jetzt kommt das Wesentliche«, sagte Raphael. »Die Homöopathin fragte nämlich nach dem Beginn der Erkrankung, ob es zu dem Zeitpunkt, an dem die ersten Symptome aufgetreten sind, irgendwelche Veränderungen in Elsas Leben gegeben hätte. Und Elsa erzählte, dass sie die Beinschwäche im Fitnessstudio eine Woche nachdem sie mich kennengelernt hatte, bemerkt hätte. Daraufhin riet ihr diese Quacksalberin, sich von mir zu trennen, da ich die Ursache der Multiplen Sklerose sei. Die Umstände des Ausbruchs einer Erkrankung seien entscheidend. Außerdem verordnete sie Kügelchen, die eine hohe Verdünnung eines Schlangengiftes enthielten. Ferner empfahl sie Elsa eine ›ganzheitliche Kur‹ mit Selbstfindungsseminar auf dem Therapiehof einer daseinsanalytischen Vereinigung. Um es kurz zu machen, Elsa beendete noch in derselben Woche unsere Beziehung, nahm ein Freisemester und reiste in den Schwarzwald auf diesen Hof. Ich habe mit ihren Eltern telefoniert, die sind ganz und gar unglücklich. Elsa hat innerhalb der acht Wochen, in denen sie dort ist, nur zweimal mit ihrer Mutter telefoniert. Sie sei ganz verändert, verschlossen und unnahbar. Die Mutter befürchtet, dass es sich um eine Sekte handelt. Ich weiß auch nicht, wie es mit ihrer Krankheit weitergeht, ohne Behandlung.«
    Raphael sah mich flehentlich an. »Was soll ich tun, was können Sie mir raten?«
    Ich wurde immer ungeduldiger, die Oberärzte warteten auf mich, meine Sekretärin hatte schon zweimal die Tür geöffnet und verzweifelt mit den Augen gerollt, weil der Tagesablauf derart ins Stocken geraten war. Ich stand auf. »Kommen Sie doch in ein, zwei Tagen wieder, wenn ich richtig Zeit habe, dann besprechen wir alles noch einmal in Ruhe.« Dann fragte ich: »Lieben Sie sie denn wirklich?«
    »Erst war ich nur verliebt, dann habe ich gemerkt, was für ein wertvoller Mensch sie ist und wie gut sie mir tut. Ich bin mir sicher, wir werden trotz der Krankheit glücklich miteinander.«
    »Sie wissen, was

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