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Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Titel: Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Scherer
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mit einer Drahtschlinge selbst ziehen wollen. Aber dann sei nur ein Stück abgesplittert, und er habe aufgegeben. Der Arzt bricht gleich drei kaputte Zähne aus dem Kiefer. Schon kurz darauf kommt Brian wie ein neuer Mensch daher. Er geht wieder aufrecht. Seine Augen glänzen. Auch Gattin Vickie ist erleichtert. Sie sei froh, dass seine Schmerzen vorbei seien, bedankt sie sich bei Brock, während Brian zustimmend nickt. Er selbst verabschiedet sich beidhändig von ihm.
    »Passen Sie gut auf den Jungen auf«, sagt der zu Vickie. Wieder hat er einem Menschen geholfen. So war es am Amazonas auch. Nur der Dschungel fehlt.

2    Abenteuer Alltag
Leben in der Warteschleife
     
    Als der Kinofilm »Lost in Translation« anlief, der die Nöte eines hilflosen Asien-Touristen schildert, war ich als Japan-Freund etwas verärgert über eine Badezimmerszene. Denn da passte Hauptdarsteller Bill Murray dank westlicher Körpermaße im teuersten Tokioter Edelhotel angeblich nicht unter die Dusche. Was für eine billige Pointe, dachte ich damals. Jetzt, da ich Amerika bereise, wo Duschköpfe gemeinhin starr in die Wand gemörtelt sind und sich baugleich auch auf Blechgießkannen finden könnten, fällt mir die Szene immer wieder ein. Seitdem finde ich sie noch dreister.
    Auch die Erfindung der Türklinke hat sich hier bis heute nicht durchgesetzt. Nationalstandard sind Drehknöpfe. »Wie öffnet ihr Türen, wenn ihr mal keine Hand frei habt?«, fragte ich anfangs noch. »Bei uns ging das auch mit dem Ellbogen.« Wer eine Stehleuchte einschalten möchte, wie antik oder modern auch immer, sucht sie erst vom Fuß bis in den Lampenschirm hinein nach jenem winzigen, gezackten Rädchen ab, dreht es zuerst folgenlos einmal in die eine, dann in die andere Richtung, prüft danach Stecker und Glühbirne auf korrekten Sitz, um sie schließlich verwundert mit einer weiteren Rädchendrehung aufzuhellen. Es sind jene Alltäglichkeiten, die einen mitunter fragen lassen, woher dieses Land das Selbstbewusstsein nimmt, sich stets als Nummer eins der Welt zu sehen.
    Der Zeitungskolumnist und Schriftsteller Bill Bryson notierte einmal, dass in den Fünfzigerjahren nahezu alle Haushaltsgeräte der Welt in amerikanischen Küchen standen. Was er nicht schrieb, war, dass die meisten heute noch dort stehen – und dass die US-Hersteller sie noch immer unverändert anpreisen.
    Die Waschmaschine, die nicht wirklich wäscht; der Geschirrspüler, dessen Drahtkorb sich in der Laufschiene verkantet; der letzte Blizzard, der den Wunsch nach einem eigenen Notstromgenerator weiter wachsen ließ – das vor allem sind die Themen, die deutsche Zuzügler in Washingtons Community im ersten Jahr beschäftigen. Noch weit vor den transatlantischen Beziehungen rangiert da die Frage nach dem wirksamsten Fleckenlöser.
    Als der erste schneereiche Winter anbricht, schrecken Explosionen vor unserem Haus um vier Uhr nachts die Kinder aus dem Schlaf. Alle paar Minuten erleuchtet ein tagheller Blitz die Dunkelheit. Die Kleinen schauen bang, als würden wir beschossen. Als ich aus dem Fenster sehe, erkenne ich, dass das ganze Viertel im Dunkeln liegt. Dann fliegt am nächsten Strommast funkensprühend der blecherne Generator in die Luft. »Das kommt hier öfter vor«, sagen am Morgen unsere Nachbarn, »die reparieren das wieder.«
    Mit ähnlichem Gleichmut registriert das Land dann auch schon mal, wie eine achtspurige Mississippi-Brücke in Minneapolis einstürzt. Oder wie New York minutenlang in Terrorangst erstarrt, weil mit ohrenbetäubendem Getöse ein 100 Jahre altes Fernheizungsrohr geborsten ist. Als der nächste Wirbelsturm mal wieder US-Häuser durch die Weltnachrichten fegt, als wären sie aus dünnstem Sperrholz, wird mir klar, dass dies der Wahrheit näher kommt, als ich es je für möglich hielt.
    Null drücken oder schreien
     
    Doch auch wo Amerika technologisch führt, kommt es den Bürgern nicht immer zugute. So haben nahezu alle Firmen und Behörden ihre Außenkommunikation derart ihren Computern anvertraut, dass sie Problem-Anrufer nach Belieben aushungern können – in Warteschleifen, die jeden Unentschlossenen rasch aufgeben lassen.
    Als ich meine überteure Autoversicherung wechseln will, weil sie offensichtlich mehr in Kundenwerbung als in Kundenhilfe investiert, teilt mir der Konkurrenzanbieter mit, er könne den versprochenen Tarif nicht halten, weil ich laut Strafregister gerade eine rote Ampel ignoriert hätte. Ich bestreite das. Wir vereinbaren, dass

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