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Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Titel: Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Scherer
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klagt er, als stünde noch immer Armee gegen Armee. Eine Denkschrift, die er über den Irak-Krieg mit verfasst hat, trägt den Titel: »Vom Versuch, mit Messern Suppe zu essen.«
    Doch nicht alle, die wir für unseren Film befragen, schwanken zwischen etablierten Konservativen und Demokraten. »Auch Obama ist mir noch zu kriegerisch«, schimpft ein Bahnreisender neben uns. »Er hat gesagt, er würde auch Pakistan angreifen, auch ohne Verbündete.« Das mache ihm Angst. »Vielleicht nicht so sehr wie unter Bush. Aber ich bin gegen Militäreinsätze«, sagt er, »egal wo.«
    Seine Frau findet, Amerika habe sich isoliert, und hofft, der nächste Präsident könne dies ändern. »Wir denken immer, wir seien die Besten, könnten jeden herumkommandieren und tun, was immer wir gerade wollen. Es ist gefährlich, so sehr den Bezug zur Welt zu verlieren.«
    Auch die Innenpolitik weckt vielerorts Unbehagen. Wir sprechen mit Farmern in Iowa, wo sich Maisfeld an Maisfeld reiht, zugleich aber Scheunen und Ställe verfallen, über den Niedergang der Familienbetriebe, die Arroganz der Städter und die Immobilienkrise. »Wie hätte es denn gut gehen sollen, dass Leute sich auf einmal Häuser für Hunderttausende von Dollars leisten, ohne einen einzigen gesparten Cent?«, zucken sie mit den Schultern – und geben die Schuld sowohl den Banken als auch den blauäugigen Käufern.
    Das Bedrückendste aber, das wir während der Recherche miterleben, ist die stille Not von Millionen Amerikanern, die durch die Maschen der Krankenversicherer fallen – vor allem in ländlichen Bundesstaaten, wo sie allenfalls nach stundenlanger Autofahrt noch einen Arzt erreichen. Wenn sie denn überhaupt noch Geld haben, um ihn zu bezahlen.
    Täglicher Hurrikan
     
    Zwischen den tiefgrünen Hügeln des Cumberland Plateaus hängt der Frühnebel wie Watte, als wir uns dem Treck der Freiwilligenorganisation »Remote Medical« anschließen. Ihr Ziel ist das ausgedünnte Grenzland zwischen Knoxville, Tennessee, und Lexington, Kentucky. Ihr Gründer, Stan Brock, trägt Khaki-Uniform wie auf einer Safari. Eine ausladende graue Haartolle beschattet seine Stirn. Lange hat er als Entwicklungshelfer in Drittweltländern gearbeitet. Im Amazonasdelta versorgte er aus Propellermaschinen Hungernde.
    »So weit müssen wir heute nicht mehr fliegen«, sagt er uns. »Die Not haben wir längst vor unserer Haustür. Und das Flugbenzin ist ohnehin zu teuer.« Dabei ist er kein Zyniker, sondern ein auffallend ruhiger, besonnener Mann, den die Teamkollegen schätzen und dem die Patienten, wie wir am nächsten Morgen sehen werden, dankbar sind wie einem Engel.
    In den Fahrzeugen transportiert Brock medizinisches Gerät, um in einer Sporthalle ein Allzwecklazarett einzurichten, von der Buchstabentafel für den Sehtest bis zur Zahnarztzange. Getragen wird die Organisation von Spenden und vom Idealismus ihrer Mitarbeiter: Zahn- und Augenärzte aus Chicago oder New York, die ein Wochenende opfern, um hier den Kranken beizustehen; Studenten, Helfer, Handlanger.
    »Sie könnten vorm Fernseher sitzen wie andere auch, Golf spielen, das Leben genießen. Was treibt Sie hierher?«, fragen wir Ron, der kurzfristig für einen erkrankten Fahrer eingesprungen ist.
    »Uns liegt etwas an unseren Landsleuten«, antwortet er.
    Am Zielort angekommen, einer Sporthalle im südlichen Kentucky, schleppt er als erstes Kisten mit Gratisbrillen zur »Optik-Station«.
    »Heißt das, Sie machen die Hausaufgaben der Regierung?«, frage ich nur halb im Scherz.
    »Dazu sage ich besser nichts«, lacht er in unsere Kamera. »Letztes Jahr versorgten wir hier an zwei Tagen fast 1000 Patienten. Damit rechnen wir wieder.«
    Es ist Freitagnachmittag. Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, werden sich die Tore öffnen. Auf einem Rasenstück nahe des Eingangs warten schon die ersten Angereisten auf Klappstühlen im Schatten. Denn wer zuerst da ist, steht später in der Schlange vorn und kann sicher sein, dass die Anfahrt nicht vergeblich war.
    Einer von ihnen ist Brian Halse, ein kräftiger Kerl Anfang 30, der leidend blickt, während ihm seine Frau die Hand hält. Drei Autostunden entfernt bewohnen sie mit ihren beiden Kindern einen Trailer – die landestypische Billighausvariante zwischen Hütte und Wohnwagen. Frau Vickie fuhr den Wagen. Die Kinder blieben bei den Großeltern. Brian arbeitet in einer Kalkmine. Seine dicke Wange lässt ahnen, warum er hier ist. Sein Gesicht ist gerötet. Er presst die Lippen

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