Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
ich es bei der Behörde kläre. Derlei Anrufe laufen immer gleich ab, auch wenn sie einer Bank, dem Strom- oder Gasversorger oder einer Airline gelten. Man hört einer Computerstimme zu, die man anfangs noch für echt hält, weil sie sogar mehrstufige Dialoge führen kann und immer wieder nett »Okay« sagt, bevor sie einen mit neuen Hinweisen versorgt, welche Ziffern zu welchen Anliegen die Antwort bieten sollen – bis man alles erfahren hat, was man nie wissen wollte, aber nicht das, weshalb man anrief.
Kollegen raten mir, in solchen Fällen entweder die Null zu drücken, auch wenn die Stimme sie gar nicht erwähnt habe, oder laut »Kundendienst« zu schreien. So würde ich zu einem echten Menschen durchdringen. Gelegentlich funktioniert das tatsächlich. Doch meist quäle ich mich durch solche Härtetests wie Tennisprofis durch ein Fünfsatzspiel: mit Bananen, reichlich Mineralwasser und geordnetem Geist. Denn wer sich ungeduldig zeigt oder gar nervenschwach, hat schon verloren.
Als ich so endlich eine Sachbearbeiterin erreiche, räumt sie ein, dass mir der Ampel-Tatbestand durch einen Zahlendreher auf einer fremden Überweisung zugeordnet wurde, und verspricht, dies binnen drei Tagen zu korrigieren. Ich notiere eine Vorgangsnummer. Doch der Versicherer winkt danach wieder ab, nichts habe sich geändert. Nach erneutem Telefonmarathon erfahre ich von der Behörde, die Vorgangsnummer sei nicht relevant. Ohne den Namen der Kollegin, mit der ich gesprochen hätte, könne man nichts tun.
»Entschuldigung …«, hebe ich an. Da ist die Leitung bereits unterbrochen: »Für allgemeine Informationen drücken Sie eins …«
Mag sein, dass Amerika vielen noch immer als Serviceparadies gilt, weil hier auch nachts eine Drogerie geöffnet hat oder ein Kassierer das Gekaufte gleich in Tüten packt. Und Bürokratie treibt sicherlich auch sonstwo ihre Blüten. Doch vom Wunderland ist der US-Dienstleistungssektor weit entfernt. Man kann hier reichlich Lebenszeit damit verbringen, Formulare auszufüllen, in denen Ärzte auch bei einem simplen Schnupfen nach den Nierenleiden der Verwandtschaft fragen oder ein Online-Möbellieferant nach dem Geburtsnamen der Mutter, als schnitze er Stühle aus Stammbäumen.
Als wir den ersten Sommerurlaub hinter uns haben, frage ich vergeblich beim Gasversorger nach, warum der abgelesene Verbrauch genauso hoch sei wie in den Monaten zuvor. »Das musst du herunterhandeln«, belehren mich die Nachbarn. Doch der Betreiber weigert sich, den Fehler zu suchen. Stattdessen spult sein Kundencomputer eine Reparaturanleitung ab, mit Details über das Innenleben des Verteilerkastens und nötige Schraubenziehertypen. Auch das Sicherheitsunternehmen, dessen Haus-Service wir von den Vormietern geerbt haben, erweist sich bald als wenig kundenfreundlich. Nach einer Serie von Fehlalarmen kündige ich den Auftrag. Monate später mahnt ein Anrufer weitere Monatsraten an, zahlbar am Telefon, und droht meiner Frau mit der Finte: »Wir haben auf Band aufgenommen, dass Ihr Mann das überweisen wollte.«
Unerreicht aber bleibt das Finanzamt, das einen längst abgebuchten Scheckbetrag erneut einfordert mit dem Hinweis, es habe die errechnete Steuerlast gerade »korrigiert«. Die Strafandrohung folgt schon in der nächsten Zeile. »Zahlen Sie nicht«, reagiert mein Steuerberater, »vermutlich haben die das nur verschlampt.« Er sollte recht behalten.
Das sei die Endstufe von Bürokratie und Kapitalismus, erklären mir Zyniker. Generationen von Consultants hätten hier jedem, der mit Kunden oder Publikum zu tun habe, geraten, jeglichen Problemfall abzuwimmeln. Es sei doch viel bequemer, mit den restlichen Klienten auszukommen.
Mitunter male ich mir aus, wer wohl alles in diesem Willkür- und Warteschleifendickicht auf der Strecke bleibt; wie viele Kunden und Patienten Rechnungen mehrfach bezahlen, ohne es zu bemerken; kurzum, wie ein weltführendes Land sich solch eine schludrige Buchhaltung erlauben kann. Je länger ich den Alltag dieses Landes teile, desto mehr kann ich Obamas Bemühen um mehr Verbraucherschutz verstehen. Und die Motive der gegnerischen Lobbyisten, ihn zu verhindern. Der neuen Behörde aber, die künftig für Kunden kämpfen soll, müsste er wohl als Erstes den Telefoncomputer streichen.
Dabei muss es nicht immer um Geld gehen. Als ich in Kalifornien erstmals über die sommerlichen Buschbrände berichte, läuft im Lokalradio eine Realsatire über einen Anrufer, dem es trotz zahlloser Versuche
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