Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
Wucht von Geschossen mitsamt dem Sitz niedergestreckt hat. Die Umrisse des Schädels sind noch zu erkennen, die Öffnungen, wo Minuten zuvor noch ein Gesicht mit Augen und Mund gewesen war. »Er kippte von den 50-Kaliber-Maschinengewehrsalven unserer Soldaten nach hinten«, erklärt mir Kokesh. »Nur ein paar Marines, die aus der Distanz den Eindruck hatten, dass der Wagen zu schnell fahre. Dabei war ihr Checkpoint kaum erkennbar.«
Das Leben sei sehr billig im Krieg, bilanziert er. Wer in Falludscha habe nachweisen können, dass ein Angehöriger grundlos durch US-Soldaten umgekommen sei, habe 2500 Dollar Entschädigung erhalten, an anderen Orten waren es nur 1000 Dollar. »Auch das verbitterte viele irakische Familien, denn meine Mutter hätte nach meinem Tod 400 000 Dollar bekommen«, sagt er. »Das ist ein Riesenunterschied zwischen dem Wert eines irakischen und eines amerikanischen Lebens, den die Soldaten verinnerlichen, ohne darüber nachzudenken. Es ist einfach ihre Wirklichkeit. Und zugleich wird auf der anderen Seite auch dein eigenes Leben billig, weil du weißt, dass es jeden Tag zu Ende sein kann. Das macht dich fatalistisch. Auch das wird im Krieg normal. Und verglichen mit manchen anderen Vorfällen, die ich dort gesehen habe, sind diese paar Fotos ein Nichts.«
Ein weiterer Exsoldat, der sich zu Wort meldet, heißt Steve, gerade 22 Jahre alt. Wie andere Heimkehrer in ihren Aufzeichnungen beklagt er, dass die offiziellen Opferzahlen geschönt seien. Oft sei auch ihm und seiner Einheit befohlen worden, Sperrfeuer gegen vermutete feindliche Schützen zu eröffnen. In Wohngebieten führe das immer wieder zu Massakern an der Bevölkerung, mit Hunderten von Toten, die dann durchweg als Aufständische gezählt würden. »Der Befehl lautete stets, dass nur wir auf der Straße sein dürften, dafür sollten wir sorgen«, sagt er. Sein Nebenmann auf dem Podium bestätigt das – und zitiert eine Anordnung, die sein Befehlshaber ausgegeben habe, nachdem ihm ein Verdächtiger per Taxi entwischt sei. »Unser Leutnant gab dann per Funk an die Soldaten durch, alle Taxen der Stadt in Brand zu schießen. Manche fragten zurück, ob er das ernst meine. Doch dann feuerten unsere Heckenschützen los.«
Tatsächlich werden nur wenige Übergriffe geahndet. Darunter sind die Mordtaten eines selbst ernannten »Kill Teams« in Afghanistan, das wahllos Einheimische hingerichtet und sich mit Leichenteilen als Trophäen dekoriert hat. Der erschütternde Videomitschnitt eines Hubschraubereinsatzes im Irak dagegen, der zeigt, wie der Bordschütze Unschuldige niedermäht, johlend, als folge er einem Computerspiel, bleibt für ihn folgenlos. Stattdessen wird der junge Gefreite, dem weitere Datenlecks angelastet werden, über Jahre in Haft gehalten, bis sein Militärprozess beginnt – wegen »Unterstützung des Feindes«.
Verfassungsrechtler, die mit Obama einst die Uni besuchten, äußern deswegen ihren Unmut. Selbst der Sprecher des Außenministeriums kritisiert die Haftbedingungen – und verzichtet danach lieber auf seinen Job, als etwas zurückzunehmen. Doch Obama greift nicht ein. Er fürchtet, dass ihn die Opposition mit Erfolg als Sicherheitsrisiko brandmarkt. Es ist eines der beklemmendsten Beispiele, dass es am Ende egal sein könnte, woran Obama scheitert – daran, dass er seine moralischen Ziele von vor der Wahl weiterhin anstrebt und deshalb abgewählt wird. Oder daran, dass er sie verrät. Erreicht werden sie beide Male nicht.
Erst Mitte 2011 eröffnet das Justizministerium ein Ermittlungsverfahren wegen zweier Todesfälle, einer in einem Geheimgefängnis in Afghanistan, der andere im Lager Abu Ghraib. Den ersten Gefangenen ließen die Bewacher nackt auf dem Boden seiner Zelle erfrieren. Der zweite starb angekettet am Fenstergitter eines Duschraums. Ein Foto zeigt einen Bewacher, der grinsend den Daumen hochreckt, vor der von Eiswürfeln gekühlten Leiche. Zuvor hat Generalstaatsanwalt Eric Holder etwa 100 interne Vorwürfe untersuchen lassen, die auf schwere Misshandlungen hindeuteten. Außer in diesen beiden Fällen wurden alle anderen Akten geschlossen. Kurz darauf beklagt ein UN-Bericht, dass in afghanischen Gefängnissen weiterhin systematisch gefoltert werde, sobald die internationalen Truppen Verdächtige den örtlichen Offiziellen übergeben hätten. Der Bericht fragt auch, ob die US-Befehlshaber davon wussten oder zumindest hätten wissen müssen.
Dass der Bruch mit der Bush-Tradition weniger deutlich
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