Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
auf dem Weg zu seinem ehrenhaften Einsatz im Irak sei. Daraufhin schleicht ein kurz geschorener Uniformträger, halb verwundert, halb verlegen, durch den Mittelgang nach vorn, begleitet vom Applaus seiner Mitflieger. Spätestens seit diesem Tag weiß ich, dass ich in einem Land arbeite, das ein anderes, alltäglicheres Verhältnis zu Soldaten und Krieg hat als das Nachkriegsdeutschland meiner Kindheit.
Was den Kapitän zu seiner Aktion veranlasst hat, erschließt sich keinem so recht. Es scheint nicht einmal so, dass er dem Jungen einen Gefallen tat: Er fühlt sich sichtlich unwohl, als würde er viel lieber umkehren. Doch auch den Klatschenden ist, von Ausnahmen abgesehen, gar nicht nach Schulterklopfen. Der Applaus gerät keineswegs begeistert, sondern verhalten. Denn jeder weiß, dass er damit einen Landsmann, der auch der eigene Sohn sein könnte, womöglich gerade in den Tod verabschiedet.
Dass die Supermacht fortdauernd Krieg führt, hat sich seit meiner Ankunft nicht geändert. Zwar hören wir in Hintergrundgesprächen europäischer Diplomaten, dass in einer Demokratie heute den Wählern kein Krieg mehr länger als fünf Jahre zu vermitteln sei. Doch solche Sätze sind aus der Not der Gastgeber geboren, etwas Kluges sagen zu müssen. Und zählt man die Jahre mit, in denen die Deutschen ihren Afghanistan-Einsatz noch nicht Krieg nannten, hat auch Berlin die angebliche Grundregel längst außer Kraft gesetzt.
Amerika erscheint mir zumindest routinierter, was den Umgang mit Soldaten und Krieg angeht. Was ich einst als Volkstrauertag kennenlernte, mit mahnenden Pfarrer- und Bürgermeisterworten am örtlichen Gefallenendenkmal, nur ja den Anfängen zu wehren, nennt sich hier »Memorial Day« und »Veterans Day«. Und Amerika hat viele Veteranen, sogar junge, die den Krieg hinter sich haben.
Der Respekt, den sie an diesem Tag genießen, fehlt freilich im Rest des Jahres allzu oft. Eine Enthüllungsrecherche der US-Presse brachte zuletzt derart skandalöse Zustände im größten Washingtoner Militärhospital ans Licht, dass Präsident Obama nach seiner Wahl verspricht, die Verpflichtungen der Regierung ihren Kriegsheimkehrern gegenüber aufmerksamer im Blick zu behalten als sein Vorgänger. Zu Hunderten litten bis dahin die einstigen Helden, viele arm- und beinamputiert, dürftig umsorgt und verpflegt, unter schändlichen hygienischen Verhältnissen.
Doch auch was die Veteranen in ihren Seelen mit zurückbringen, mag die Nation nur hören, wenn es nach Sieg und Tapferkeit klingt. Dabei wenden sich gerade Exsoldaten regelmäßig an Amerikas Öffentlichkeit, um die alltäglichen Greuel zu schildern, die sie selbst sahen oder, noch drastischer, mit begingen.
Wintersoldaten
»Uns bleiben Erinnerungen an ein Land, das wir zerstörten, und an Bewohner, denen wir nicht halfen, sondern die wir viel öfter verschreckten«, bezeugen Irak-Veteranen, die sich im Projekt »Wintersoldiers« zu Wort melden, das an Protestaktionen während des Vietnamkriegs anknüpft. Ort der Kundgebung ist der Hörsaal einer Universität in Maryland. Das Medieninteresse ist gering. Die meisten Networks scheuen den Vorwurf, sie würden sich einspannen lassen, die Moral der Truppe zu untergraben.
Einer der Mitorganisatoren ist damals Adam Kokesh von der Initiative »Irak-Veteranen gegen den Krieg«. In seiner Ausbildung habe man ihn Einsatzregeln gelehrt, die angeblich über allem stünden, sagt er. »Da hieß es zum Beispiel, dass wir nur auf identifizierte militärische Ziele schießen. Aber in den Berichten, die uns Soldaten geschrieben haben, steht eine ganz andere Wahrheit. Ich selbst habe es auch anders erlebt. Sobald wir am Ort waren, hieß der Befehl, auf alles zu schießen, was sich vom Abend an bewegt, auf jeden, der eine Waffe trägt oder der sich in einer bestimmten Zone aufhält.«
Schuld an diesen Verstößen seien nicht die Soldaten, sondern ihre Vorgesetzten, klagt Kokesh, denn gerade die einfachen Soldaten soll die Aktion schützen. Was sie vor allem anderen glaubwürdig macht, ist, dass diese Männer wissen, wovon sie reden. Ihre Aufzeichnungen wurden von Dritten auf Schlüssigkeit und allgemeine Faktentreue überprüft. Hier sitzen keine Kriegsdienstverweigerer, die ihrem Gewissen folgend Krieg verurteilen. Hier wenden sich jene an die Welt, die einmal überzeugte Soldaten waren – aber als Kriegsgegner zurückkamen.
Kokesh war in Falludscha eingesetzt, das die US-Truppen erst nach heftigen Kämpfen einnahmen. »Als
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