Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
kurzerhand räumen, ziehen Sperren hoch, wo zuvor Durchgänge waren. Polizisten zu Pferd beäugen die Umgebung, Helikopter kreisen über uns. Polizeisirenen heulen von der Zubringerstraße, auf ausladenden Gelände-Chevrolets huscht die rot-blau-rote Lichterfolge hin und her. Selbst wer die Umstehenden nicht mehr reden hört, kann ihre Lippen lesen: »Der Präsident kommt!«
Am Morgen war er in New York gewesen, am Nachmittag wird er am Pentagon erwartet. In der Ferne schwebt bald sein Hubschrauber heran, der ihn und seine Frau Michelle in Pittsburgh abgeholt hat. Noch bevor beide durch die Lücke in der Marmormauer treten, um ihren Kranz zurechtzurücken, brandet Jubel auf. Veteranen hissen ein Banner mit dem Schriftzug: »Soldaten glauben an Obama.« Hälse recken sich so hoch wie nie zuvor. Fotos werden blind und hundertfach geschossen, während die First Lady und der Präsident mit den Hinterbliebenen von Shanksville reden. Kaum einer rührt sich in dieser Stunde von der Stelle. Ich frage mich, ob sich eine Kanzlerin oder ein Kanzler je mit einer solchen Amtsaura umgeben könnten. Ob es nur an den Hollywood-erprobten Sirenen der Begleitfahrzeuge liegt, die nun mal so viel aufregender klingen als das deutsch-biedere »Tatütata« verbeulter Polizeiwannen.
»Spürt man denn bei so einem Ereignis etwas von den Washingtoner Grabenkämpfen?«, fragt mich Moderatorin Tina Hassel im Weltspiegel. »Überhaupt nicht«, antworte ich. »Solche Tage sind frei von Parteipolitik. Alles andere würde sich rächen.« Das heiße aber erfahrungsgemäß nicht, dass sie versöhnlich in die Kongresswoche abstrahlten. »Da legen alle schon zwei, drei Tage später den Hebel wieder um auf die alte Parlamentsroutine.« Ich sollte mich täuschen. Es dauerte nur einen Tag.
Auf der Rückfahrt nach Washington machen wir an einer Drei-Häuser-Siedlung halt, wo Kinder Apfelkuchen feilbieten. Dazu verteilen sie Amerika-Fähnchen mit der Aufschrift »Den Helden des Fluges UA 93«. Eines davon, so kitschig es ist, hat seit jenen Tagen zwischen allerlei Stiften seinen Platz auf meinem Schreibtisch. Damit ich an den Opfern von Shanksville Maß nehmen kann, wenn ich wieder einmal glaube, ich sei in einer schwierigen Lage.
7 Trotz Nobelpreis
Drohnen, Kriege, Killerlisten
Amerikaner saßen in Panzern oder Jeeps. So hatte ich sie als kleiner Junge wahrgenommen. Wenn die Erde zitterte und so einen Militärkonvoi ankündigte, rannten wir zum Straßenrand, reckten unsere Kinderarme hoch und formten die Finger zum »Victory«-Zeichen, obwohl wir gar nicht wussten, was das hieß. Aber die Kerle, die oben aus den Panzerluken schauten oder nach der Vorbeifahrt auch vom Heck eines Truppentransporters, erwiderten es meist, und das genügte uns als Grund. Es war faszinierend, die Sieger als Freunde zu haben. Das war in den Sechzigerjahren in der Westpfalz. In nahezu jedem Witz, den wir uns erzählten, ging es um einen Amerikaner, einen Russen und einen Chinesen – und der Ami war allen stets lächerlich weit überlegen.
In der Region hatten die Sieger alle Bunker gesprengt, deren Betonblöcke noch immer schief aus den Äckern ragten. Später erfuhr ich von meinem Großvater, dass er ein Jahr in US-Kriegsgefangenschaft verbrachte. Doch er erzählte nur Gutes davon, ganz anders als die Russland-Heimkehrer. In Michigan verpackte er in einem Arbeitslager Lebensmittelkonserven. Er habe nie verstanden, warum andere Gefangene manchmal in die Dosen spuckten, sagte er. Sie alle hätten mehr zu essen gehabt als die Anwohner draußen. Ohnehin war er den Amerikanern dankbarer als sie, denn seine Gefangennahme rettete ihm das Leben. Als der US-Trupp in das Dorf in der Normandie eindrang, hatten ihn Partisanen mit anderen Deutschen schon zur Erschießung an die Wand gestellt. Gerade rechtzeitig jagten die Soldaten sie davon. Auch von ihnen waren manche im Jeep gekommen.
Als Schüler waren es die US-Waffenarsenale, die in den heimatlichen Wald vergraben waren, Giftgas zumal, die uns politisierten, dann die NATO-Nachrüstung. Krieg schien immer eine Angelegenheit von Amerikanern.
Auf einer meiner ersten Reisen als US-Korrespondent fühle ich mich daran erinnert. »Liebe Fluggäste, bitte bleiben Sie nach der Landung noch einen Moment sitzen«, wendet sich der Pilot an die Passagiere. Die Maschine rollt aus, stoppt am Gate, dann meldet er sich erneut. Er bitte um Verständnis, dass ein junger Mann die Kabine vor allen anderen verlassen dürfe, der als Soldat
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