Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
daraufhin noch einmal bei Boehner vorfühlen, ob sich die Summe noch erhöhen lasse, die das Stopfen von Schlupflöchern erbringen soll, nutzt dieser die Gelegenheit, Obama Wortbruch vorzuwerfen – und die große Lösung für gescheitert zu erklären.
Damit ist klar, dass die Tea Party die Parteilinie vorgibt. Keiner in der Partei hat Statur und Mut genug, den Abgeordneten klarzumachen, dass sie den Bogen zum Schaden des Landes überspannen. Auch Senator John McCain, der als Parteisenior mehr Gehör finden könnte, weiß nicht anders zu reagieren, als Präsident Obama Führungsschwäche vorzuwerfen – um so von der Führungskrise in der eigenen Partei abzulenken. Selbst die Präsidentschaftskandidaten der Konservativen, vom erfahrenen Exgouverneur Mitt Romney bis zur unbedarften Kongressabgeordneten Michele Bachmann, buhlen derart um die Gunst der Ultrarechten, dass sie im Fernsehen nicht nur Obamas Lösungsvorschlag ablehnen, für jeden Dollar Reichensteuer drei Dollar im Staatsaushalt zu kürzen. Nein, versichern sie dem Moderator, sie würden auch bei zehn Dollar Kürzung keinem Extra-Dollar Mehreinnahmen zustimmen. Weltweit schüttelt darüber jeder Finanzpolitiker fassungslos den Kopf.
Am Ende scheitert auch die kleinere Lösung, die Obama anbietet. John Boehner muss mehrmals die Abstimmung im Parlament verschieben, weil ihm seine eigene Partei erneut nicht folgt. Schließlich einigen sich beide Seiten darauf, das Schuldenlimit zwar längerfristig zu erhöhen, um eine Staatspleite abzuwenden. Allerdings solle parallel ein paritätisch besetztes »Superkomitee« Sparziele ausarbeiten. Falls dies nicht gelinge – was sich bald bestätigt –, träten automatisch Kürzungen sowohl im Sozial- als auch im Verteidigungsetat ein.
Damit hat Obama immerhin erreicht, dass der Streit um die Schuldengrenze ihn im Wahlkampf nicht noch einmal einholt. Seine Strategie aber, auf Gegner zuzugehen und zugleich das eigene Lager von großen Lösungen zu überzeugen, ist gescheitert. Was mit einer Golfpartie begonnen hatte und ein gemeinsamer Erfolg der beiden wichtigsten US-Politiker hätte werden können, endet so im Dauerstreit zwischen Weißem Haus und Tea-Party-Ideologen, denen sich Boehner beugen muss. Analyst Stephen Hess vergleicht Obama und Boehner bereits mit einem zerstrittenen Ehepaar, das man zwar aus Gewohnheit schätze, aber vorsichtshalber lieber nicht mehr auf Partys einlade – weil klar sei, dass sie dort nur ihr Gezänk fortsetzten.
Dabei hätten sie nur vom Kapitolshügel herunterblicken müssen, um zu sehen, wie es geht: Ohne großes Aufsehen erhöht Washingtons Distriktparlament in jenen Wochen den Satz der örtlichen Zusatzsteuer auf Jahreseinkommen über 350 000 Dollar von 8,5 auf 8,95 Prozent. »Wir haben in den städtischen Hilfsprogrammen zuletzt Millionen gestrichen«, verteidigt ein Abgeordneter den Beschluss. »Wie viele Kinder haben hier keine Schuhe? Wie viele bekommen kein Abendessen? Wir sollten ihnen eine Hand reichen.«
»Das ist Mathe«
»In Zeiten, in denen sich die reichsten Haushalte Amerikas über die niedrigsten Steuersätze seit Jahrzehnten freuen und Firmen kontinuierlich vermeiden, überhaupt Steuern zu zahlen, sollte klar sein, wer künftig mehr Lasten tragen muss«, rügt die New York Times in einem Editorial die Republikaner – und beklagt, wie viele Landsleute ohnmächtig in die Armut rutschten. Auch andere Blätter rechnen vor, dass Amerikas Top-Verdiener fast die gesamten wirtschaftlichen Zugewinne der letzten 30 Jahre unter sich aufteilten. Während die Produktivität im Land deutlich gestiegen sei, stagnierten die Löhne der meisten Amerikaner, ohne an der Entwicklung teilzuhaben. Dann erhält Obama auch von unerhoffter Seite Zuspruch: Multimilliardär Warren Buffett wendet sich in donnernden Exklusivinterviews an Amerikas verwöhnte Oberschicht. Es sei schon lange an der Zeit, sie die Bürde der Krise mittragen zu lassen. »Uns Reichen ging es in Wahrheit noch nie so gut wie jetzt«, sagt er. »Es muss endlich Schluss sein mit dem Verhätscheln der Millionäre durch die Politik.«
Obama wählt daraufhin erneut die Rolle des aktiv Handelnden, trotz der Blockade des Kongresses. In einer kämpferischen Rede vor dem Parlament stellt er ein neues »Job-Gesetz« vor, das Arbeitsplätze schaffen soll, etwa indem das Land von seinen unterbeschäftigten Bauarbeitern die marode Infrastruktur reparieren lässt, statt ihre Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Dem
Weitere Kostenlose Bücher