Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
sondern Gingrichs Republikaner.
Auch Obamas PR-Strategen erinnern das Land nun an die historische Parallele. Gerade noch vor Redaktionsschluss der nationalen Zeitungen jagen sie im Sicherheitskonvoi zum Lincoln-Denkmal im Washingtoner Grüngürtel und nehmen gemeinsam mit dem Präsidenten im Laufschritt die Treppen. Die Fotos, auf denen Obama überraschten Touristen vor Lincolns steinernem Konterfei die Hände schüttelt und ihnen erklärt, dass die Republikaner um ein Haar erneut die Schließung der Gedenkstätten erreicht hätten, sind tags darauf auf vielen Titelseiten. Die erstaunlichen Erfolge der Tea-Party-Newcomer, die Obama zu massiven Kürzungen zwangen, rücken so nach hinten. Doch auch wenn das Weiße Haus die Tagesmeldungen so noch ein wenig steuern konnte: Das Kräftemessen hat damit erst begonnen.
»Wir müssen noch viel weiter gehen«, sagt der wohl angesehenste Tea-Party-Mann, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses Paul Ryan. »Bald werden wir nicht mehr Milliarden streichen, sondern Billionen.«
Fluchtburg Illinois
In den Parlamenten mancher Bundesstaaten toben ähnliche Machtkämpfe – mit Nebenfolgen, die an Wildwest-Drehbücher erinnern. In der Kleinstadt Urbana, die im Bundesstaat Illinois nah an der Grenze zu Indiana liegt, suchen wir in diesen Tagen 40 demokratische Abgeordnete auf, die aus ihrem heimatlichen Sitzungssaal der Hauptstadt Indianapolis dorthin geflohen sind. Weil sie als Minderheit gegen die Republikaner kaum noch etwas ausrichten konnten, verschwanden sie einfach über Nacht. Seitdem ist dort das Parlament nicht mehr beschlussfähig, weil die Mehrheit allein die vorgeschriebene Mindestzahl anwesender Abgeordneter nicht erreicht.
Um ihre Staatsausgaben leichter senken zu können, wollen Indianas Republikaner, ähnlich wie ihre Parteifreunde in den Nachbarstaaten Wisconsin und Ohio, das Verhandlungsmandat der Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst beschneiden. Betroffen wären, je nach Vorschlag, vor allem Lehrer, aber auch Polizei und Feuerwehr. Für Indianas Demokraten-Führer Pat Bauer lag das jenseits des Zumutbaren. Deshalb berät er sich mit seiner Fraktion nun täglich im tristen Frühstücksraum ihrer Hotel-Fluchtburg.
Warum sie dafür den Bundesstaat wechseln mussten, frage ich und erhalte zur Antwort, dass zu Hause in Indiana der Sheriff Abgeordnete auch zwangsweise ins Parlament verfrachten könne. An der Staatengrenze aber ende seine Befugnis. Stattdessen müsse nun erst der Gouverneur den Nachbarstaat um Amtshilfe bitten, was wenig Aussicht auf Erfolg habe, denn in Illinois regierten Demokraten.
Meine Reportage beginne ich mit Fahraufnahmen von der Autobahn zwischen Urbana und Indianapolis, auf der Pat Bauer nun seine Emissäre hin- und herschickt. Grenzschilder huschen vorbei, untermalt mit Musik des Serienklassikers »Dr. Kimble auf der Flucht«. Dann schneiden wir um auf die Turnschuhe von Pat Bauers Mitstreitern, die sich auf dem Hotel-Laufband fit halten. »Wir hatten das alles auch schon umgekehrt«, gibt er sich gelassen. »Damals war ich noch selbst Parlamentschef, und die Republikaner blockierten die Abstimmungen.«
Vom Frühstückstisch aus führt er nun die Geschäfte. Ein Schlachtross der Landespolitik, erfahren und ausgebufft. Wer die Gewerkschaft knebeln wolle, lege Hand ans Gemeinwesen, sagt er bestimmt. Dagegen müsse man sich schon mal auf außergewöhnliche Weise wehren. Zur Fraktionssitzung der Exilanten sind via Skype-Leitung Bürger aus Indiana zugeschaltet, die sich als Unterstützer des Protests in einer Kirche eingefunden haben. Nach drei Wochen Ausharren fern von zu Hause gelten Bauer und seine Kollegen vielen als Helden. Auch Kaffee und Gebäck bekommen sie zugeschickt, samt Postkarten mit Durchhalteparolen.
»Die Republikaner wollen das Ende der öffentlichen Schulen«, erklärt einer der Abgeordneten den zugeschalteten Kirchenbesuchern. »Und sie wollen das Einkommen der Mittelschicht senken.« Der Zuspruch der Bürgerversammlung ist ihm sicher.
»Ich danke euch für eure Unterstützung«, ruft seine Nebenfrau in Richtung Heimat, »auch wenn wir derzeit nur auf diese Weise zusammenfinden können.«
Je länger die Aktion andauere, meint Pat Bauer danach, desto mehr werde über die Details der umstrittenen Gesetzentwürfe berichtet. Das sei gut für die Demokraten und schlecht für den Mehrheitsführer.
Wie er selbst denn als Parlamentschef damals mit Boykotteuren umgegangen sei, will ich wissen.
»Die Zeit heilt
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