Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
Gesetzentwurf gibt er den Namen »Buffett-Initiative« – und er wirbt weiter für eine Beteiligung der Reichen an der Staatssanierung. »Das ist nicht Klassenkampf«, mahnt er die Republikaner-Spitze. »Das ist simple Mathematik.«
Der starre Blick vieler Außenstehender allein auf Obama hat da schon erstaunlich lange verhindert, dass ein anderes Problem Amerikas mehr Aufmerksamkeit erhält: die faktische Orientierungslosigkeit der Republikaner. Auf eine derart krachende Niederlage wie bei der Präsidentschaftswahl 2008 reagieren politische Parteien gewöhnlich mit einer Neubesinnung. Sie leiten einen Generationswechsel ein, modernisieren ihr Programm und melden sich irgendwann mit neuem Führungspersonal zurück. Zu all dem haben die Republikaner die Zeit nicht nutzen können. Stattdessen fielen sie zurück in alte Faustformeln wie »für Waffen« und »gegen Steuern« und ließen sich von Sozialismus-Kritikern treiben, die in Wahrheit nur Obama-Kritiker waren. Sie freuten sich über die neu gewonnene, schrille Stimme, die ihnen bei den Midterm-Wahlen einen trügerischen Erfolg bescherte, und ließen sich auf eine Blockadepolitik ein, die den Kongress samt ihrer Abgeordneten noch unbeliebter gemacht hat als den Präsidenten.
Warum aber ergreift keiner der etablierten Konservativen das Wort und springt John Boehner öffentlich zur Seite? Warum nutzt keiner der Präsidentschaftskandidaten die Gelegenheit und bekennt sich zu der schlichten Logik, dass zehn gesparte Dollar für einen Dollar Steuermehreinnahmen ein hervorragender Deal wären? Und warum häuten sich die Tea-Party-Abgeordneten nicht, um einen radikalen Wandel einzufordern, der aber zugleich auch machbar ist? Diese Fragen stellen wir gleich mehreren Parteikennern, unter ihnen zwei langjährige Abgeordnete. Wir wollen wissen, welche Erwartungen sie noch haben, welche Ursachen und welche Auswege sie sehen.
Die Angst der Moderaten
In einem Anwaltsbüro in Washingtons Downtown besuche ich als Ersten Mike Castle, einen imposanten Mann, der einmal eine verlässliche Konstante der Republikanischen Partei war. Jahrzehntelang saß er für den Bundesstaat Delaware im Repräsentantenhaus. Dann sollte er in den Senat aufrücken. Doch die Tea-Party-Rebellin Christine O’Donnell warf ihn überraschend aus dem Vorwahlrennen. Sie verlor zwar anschließend gegen den demokratischen Gegenkandidaten, doch Castle war am Boden zerstört. Und als ich ihn nach jenen Tagen frage, spüre ich schnell, dass er es noch immer ist.
»Ich hatte eine lange Laufbahn als Politiker hinter mir«, sagt er, »hatte Dutzende von Wahlen in Delaware gewonnen, mit den klarsten Mehrheiten, die ein Republikaner dort je erzielt hatte.« In den Umfragen habe er auch lange sowohl vor dem demokratischen Amtsinhaber als auch vor O’Donnell gelegen.
»Wir waren zu überzeugt davon, ich inbegriffen, dass wir nur durchhalten müssten und sowieso gewinnen würden. Darüber bin ich bis heute unglücklich. Wir alle haben nicht rechtzeitig reagiert. Diese Leute haben mir nie dagewesene Vorwürfe gemacht, haben mein Abstimmungsverhalten zum Waffen- oder Abtreibungsrecht umgedeutet, wie ich es nie geahnt hätte, allen voran Glenn Beck in seiner Show auf Fox News. Es war ein sehr unwürdiges Ende einer Abgeordnetenlaufbahn. Meine Frau würde vermutlich ein Messer ziehen, wenn ich ihr sagen würde, dass ich noch einmal in die Politik zurückwollte.«
Ob Amerikas Vorwahlen für solche Angriffskampagnen anfälliger seien als das Wahlsystem anderer Länder, frage ich.
»Ich glaube ja«, antwortet Castle, »zum einen, weil die neuen Kommunikationstechniken mittlerweile jedem erlauben, als Experte aufzutreten. Aber vor allem, weil unsere Medien nichts lieber tun, als Kontroversen zu inszenieren. Sogar in den besten Politiksendungen sehen Sie nur noch, wie sich ein äußerst linker Abgeordneter mit einem äußerst rechten streitet. Die US-Medien machten aus Sarah Palin eine Heldin. Das lag nie am politischen Gehalt. Das teilt das Land. Schon im Internet, in Chats und Blogs, wird alles nur zerrissen. Und im Fernsehen dominieren mehr und mehr die Sender, die sich als sehr konservativ oder als sehr liberal verstehen. Das ist ein Problem für Amerika. Man wirft das schnell den Parteien vor, aber es geht auch darum, wohin die Medien sie treiben und wie diese die Wahrnehmung der Menschen mit beeinflussen.«
Den jüngsten Vorwurf seiner Partei an Obama, er betreibe Klassenkampf, teilt Castle nicht. »Es ist ein
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