Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
die Füße schnallen, um über den gefrorenen Lake Superior zu wandern, den nördlichsten der Großen Seen. Unser beleibter Gastgeber ist Clarence Iverson, in dessen naher Werkstatt zwei Arbeiter noch solches Flechtwerk produzieren – als letzte in den USA. Der füllige Firmenchef, der mir vorausgeht, ist selbst sein bester Warentester. Denn wenn seine Schneeschuhe ihn tragen, tragen sie jeden.
»Frühmorgens können Sie hier Füchse sehen und Kojoten«, sagt er, »Raubvögel und Rehe.« Von Felskanten rinnt Wasser an mächtigen Eissäulen herab, vor denen ich klein wie ein Zwerg erscheine. Dann rötet die Sonne den Horizont der Seenlandschaft wie in einem Aquarell.
Iversen trotzt schon aus Prinzip den Billigimporteuren, die Schneeschuhe nicht wie er aus Holz und Lederriemchen fertigen, sondern nur noch aus Leichtmetall, Plastik und Kunstfasern. »Wir Amerikaner können doch der Welt nicht nur Finanzprodukte verkaufen«, schimpft er. »Das hat uns doch die Krise eingebrockt. Wir müssen Dinge herstellen aus dem, was wir haben. Wir haben es doch.«
Das Holz bezieht er aus dem Inland, die Tierhäute aus Kanada. Wie lange sein Betrieb noch überlebt, ist offen. Doch nie würde der knorrige Unternehmer um einen »Bailout« durch die Regierung bitten, selbst wenn sie auch existenzbedrohte Schneeschuh-Fabrikanten freikaufen würde.
Im Dauerwind von North Dakota, der uns bei Drehpausen fast die Autotür abreißt, checken wir in einem Ort namens Linton ins lokale Motel ein. Unter den Reifen knirscht das Eis. Die Zimmer riechen nach Desinfektionsspray, die Bettlaken sind festgezurrt, als schliefe man in einem Briefkuvert. Linton hat nur 100 Meter Hauptstraße, einen Saloon und eine Frühstücksbar, die nach Bratfett stinkt und in der grimmige Männer unter Cowboyhüten dünnen Kaffee trinken. Mir fällt der Satz des US-Schriftstellers Howard Frank Mosher ein, wonach Gott das Land geschaffen habe, der Mensch die Metropolen, der Teufel hingegen die Kleinstadt.
»Als ich jung war, habe ich mal andere Orte ausprobiert«, sagt uns Frank Kuntz, als er uns abholt und zu seiner Ranch hinausbringt. Draußen beugt sich gelbes Gras im Wind. Mein Blick streift über sanfte, baumlose Hügel, die sich zu einer Landschaft verbinden, als hätten wir den Planeten gewechselt. »Ich mag ja die Großstädte«, sagt Frank, »aber noch lieber lasse ich sie nach ein, zwei Tagen wieder hinter mir. Dann ist es mir zu eng. Zu viele Menschen. Deshalb kam ich immer wieder hierher zurück. Hier ist nur Weite. Offenes Land.«
Von der Asphaltstraße biegen wir auf einen Feldweg ab. Nach ein paar Meilen taucht hinter einer Kuppe die Ranch auf, die Frank mit seiner Frau bewohnt. In den verschneiten Koppeln ringsum blicken dickfellige Pferde zu uns auf. »Nokotas«, sagt Frank. »Auf ihnen ist schon Häuptling Sitting Bull geritten.«
Seine Idee, hier die letzte Herde von Indianerpferden zu retten, annähernd 500 Tiere, fanden in Linton nicht alle gut. »Kennst du den Unterschied zwischen Farmern und Ranchern?«, fragt er mich. »Ein Farmer weiß genau, wie viele Tiere er besitzt. Ein Rancher weiß es nur ungefähr.«
Dann nennt er mir noch einen weiteren Unterschied. Farmer hätten die Pferde »Heudiebe« und »Nichtsnutze« genannt. Man müsse das verstehen, erläutert uns später Franks Bruder Leo, der die Nokota-Herde mitbetreut. »Als die ersten Siedler hier von der Regierung Land zugeteilt bekommen hatten, zogen sie Holzzäune hoch und legten Felder an. Wenn dann manche einfach darüber hinwegritten, fanden die das nicht lustig.«
Heute sind sich die meisten einig, dass die Kuntz-Brüder ein Kulturerbe bewahren. Eine Stiftung sammelt die nötigen Spenden. Das Heu fährt Frank im Winter in großen Ballen mit dem Trecker auf die Weiden. Als er mich zur Herde führt, will ich die ersten Pferde an Kopf und Mähne streicheln, doch sie weichen zurück, immer gerade so weit, dass meine Hand sie nicht berührt.
»Geh nicht zu ihnen«, lacht Frank. »Warte einfach, dann kommen sie zu dir.« Und so ist es. Bald darauf wollen sie nur noch gekrault werden. Manche von ihnen wechselten das Jahr über die Farbe, sogar von schwarz zu weiß und wieder zurück, erklärt uns Frank und weist uns zudem auf Haarpolster an ihren Läufen hin. Vor allem wenn die Schneedecke des Winters noch eine Eisschicht trage, bewahrten sie diese Polster vor Verletzungen.
»Es sind wunderbare Tiere«, sagt auch Leo, als wir ins Haus gehen, dessen Wände von Indianerschmuck
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