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Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Titel: Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Scherer
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bedeckt sind. »Wir haben alte Aufzeichnungen gelesen, da hieß es, wenn die Armee die Indianer nicht auf den ersten sechs Meilen eingeholt habe, könnten diese einfach so lange vor ihnen herreiten, bis die Armeepferde zusammenbrächen.«
    Wie es gekommen sei, möchte ich wissen, dass sie sich der Tiere angenommen haben?
    »Es ist unser Leben«, sagt Frank. »Meine Familie hatte immer Pferde. Wir waren zwölf Kinder. Wann immer wir irgendwo hin mussten, stiegen wir auf Pferde.« Sie hätten aber auch ein Zeichen setzen wollen, gegen den Völkermord an den Lakota-Indianern. Denn so wie die Regierung seinerzeit den Stamm nahezu vernichtet habe, so habe sie, um ihn zu schwächen, auch dessen Pferde ausgerottet.
    Als Dritter stößt schließlich ihr indianischer Partner Butch Thunderhawk, zu Deutsch: Donnerfalke, zu uns, der abseits von Linton lebt und viele der bunten Bilder gemalt hat, die wir im Haus bewundern. In einem davon reiten Krieger im Federschmuck durch Gewitterblitze. »Diese Pferde gehörten zu den Familien unserer Vorfahren«, erzählt er in feierlichem Tonfall. »Sie waren Quelle unserer Stärke, denn sie waren selbst schnell wie Blitze und hatten die Ausdauer eines Gewittersturms.«
    Zum Abschied erhalte ich als Großstädter sogar noch eine Reitstunde. Da ich selten auf Pferderücken saß, bin ich zunächst skeptisch. Doch schnell vergesse ich die Vorbehalte angesichts des wunderbaren Anblicks, der sich uns bald bietet – als die komplette Nokota-Herde mit wild wehenden Mähnen durch den Schnee galoppiert und ihn zur weißen Wolke aufwirbelt. Bevor der Wind von North Dakota ihn mit sich davonträgt.
    Die letzte Grenze
     
    In den schneereichen Bergen der Rocky Mountains wechseln wir in die Eisenbahn. Auf Strecken, die Gleisarbeiter einst ins Gebirge sprengten, peilen wir die Station Benton im Glacier-Nationalpark an. Das Waldquartier, in dem damals Hunderte von Männern die Nächte zwischen den Tagschichten verbrachten, dient einem rustikalen Landhotel heute als Haupthaus. Ringsum bietet es zudem Quartiere an, die gerade Eisenbahnfreunden das Herz aufgehen lassen – als Hotelzimmer ausgebaute Original-Lokomotiven und Begleitwagen der »Great Northern Railway«, die damals die aufstrebenden Zentren Chicago und Seattle verband.
    Wo einst Lokführer am Steuer saßen oder das Zugpersonal die rote Laterne leuchten ließ, beziehen nun Hotelgäste ihr längliches Zimmer, mit Ausblick auf die alte Talstrecke. Der Hotelier hat die Oldtimer auf Schrottplätzen in Kansas eingesammelt und mühsam hierher schleppen lassen. Nun verhelfen sie dem Ort zu neuem Leben.
    Durch die Bundesstaaten Idaho und Washington fahren wir in den Folgetagen Richtung Pazifikküste, über weiß glänzende Gebirgspässe, durch moosbehangene Märchenwälder und an vom Frost gezeichneten Apfelplantagen und Kirschgärten vorbei bis zu den verzweigten Buchten nahe der Hafenstadt Port Townsend.
    Jack Becker erwartet uns hier in seinem Boot »Emily«, einem Modell des Baujahres 1930. »Traumboot mit Führerhaus« stand damals in den Papieren. Als Jack es mit einem Freund kaufte, studierten beide noch an einer Luftwaffen-Hochschule im fernen Virginia. »Es hatte nichts damit zu tun, was wir am College machten. Wir schmissen sogar das Studium, um das Boot zu bezahlen«, lacht Jack. »Unsere Eltern wussten nichts davon. Wir machten uns auf zur Westküste und schrieben ihnen unterwegs einfach eine Karte.«
    Heute unterrichtet Jack selbst Studenten – an der Bootsbauschule im nahe gelegenen Port Hadlock. Als wir dort anlegen, hören wir schon Hobel schleifen und Hämmer auf Stemmeisen schlagen. Holzplanken schwitzen im Dampfofen, damit sie biegsam genug sind, um auf den Bootsrumpf aufgeschraubt zu werden. »Hier sitzt du in keinem Hörsaal und langweilst dich vor lauter Theorie«, schwärmt eine Studentin mit Kapuze über dem Blondschopf und Bleistift hinterm Ohr, während sich Hobelspäne kräuseln. »Hier legst du gleich Hand an.«
    Auch viele Senioren schreiben sich bei Jack ein, manche nach einem ganzen Berufsleben als Kaufmann oder Neurologe. »Wir wollten noch einmal etwas anderes machen«, sagen sie und fühlen sich in der Klasse ebenso wohl wie ihre Teamkollegen, die ihre Töchter und Söhne sein könnten. Nun wohnen sie in alten Kapitänshäuschen, zimmern ein paar Semester lang nach historischen Plänen Holzboote zusammen oder nähen nach alter Schule Segel, mit Fingerhut und Handmanschette. Als sie uns abends in eine Kneipe in Port

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