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Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Titel: Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Scherer
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gewöhnlich für so viel wichtiger halten.
    Gegen den Strom
     
    Zwischen den Klippen der Insel Monhegan, weit vor der Küste Maines, beginnt unsere Reise. Hinter grauen Wolken ist gerade die Sonne aufgegangen, als die Hummerfischerin Chris Cash mit ihrem Helfer Travis ihr Boot aus der kleinen Hafenbucht lenkt. Der Drehtag ist nicht eben einladend, sondern kalt, windig und verregnet. Chris rechnet mit Schnee, doch da müsse man durch, sagt sie und lacht. Sie ist eine Frohnatur, die als Studentin auf der Insel hängen blieb, nachdem sie einen Sommer lang im einzigen Hotel des Ortes gejobbt hatte, das nun nach der Saison geschlossen ist und hinter uns mit jeder Meile kleiner wird, die wir zurücklegen.
    Als wir die ersten orangefarbenen Bojen erreichen, die Chris gehören, hat Travis die Köder aus altem Hering verschnürt. Andere Fischer nähmen lieber Thunfischköpfe, erklärt er uns. Jeder habe seine eigene Theorie, was mehr Fangerfolg verspreche. Dann holen sie die Drahtkäfige aus der Tiefe hoch, die unterhalb der Bojen angeseilt sind.
    »Wir fangen um diese Jahreszeit nur die wenigen Tiere, die sich dort unten noch hin- und herbewegen«, sagt Chris. »Die meisten verkriechen sich jetzt im Gestein.« Zudem müssen die Fischer alle eiertragenden Weibchen ins Wasser zurückwerfen und jeden Hummer, der sich unter der Schieblehre als kleiner erweist, als die Sollmaße es vorgeben. Zu Schichtende hat Travis ein Dutzend Hummerscheren mit Gummibändern stillgelegt. Kein schlechter Tag, meint Chris.
    Normalerweise gehen junge Menschen hier weg, wenn sie aufs College wollen, und kommen nie mehr zurück. Warum sie es umgekehrt gemacht habe, frage ich.
    »Ich habe mich schon am ersten Tag in diese Insel verliebt«, sagt sie. »Die Menschen hier sind eigen, klug und voller Lebensfreude.« Als wir zurück sind, führt sie mich auf eine Anhöhe zum alten Leuchtturm. Unter uns kauern nur ein paar graue Häuser. Die kleine Schule, die gerade für die Winterferien schließt, zählte zuletzt zwei Schüler. Die Lehrerin rühmt den familiären Umgang, so könne sie sich jedem mit viel Zeit widmen. Der Tag endet im Lagerraum des dienstältesten Dörflers, dessen Taue, Haken und Bootslampen von Wänden und Decke hängen. Fast täglich sitzt man hier nach Feierabend beisammen und redet von früher. Zwei Frauen und zwei Männer sind es heute.
    »Meinem Sohn habe ich geraten«, sagt uns der Alte, »er solle sich gut überlegen, ob er wirklich auch Fischer werden will. Wer weiß, wie lange wir noch Hummer fangen? Nun ist er Zahnarzt geworden. Zähne gibt’s immer.«
    Die Runde lacht, isst Krabben und trinkt Bier. Weit über 100 Inseln lägen hier draußen, erklären sie mir, nur wenige seien noch bewohnt. Die Schulen machten bisweilen dicht, aber eine Nachbarinsel habe derzeit sogar vier Kinder in der Klasse.
    »Stimmt es denn«, zitiere ich Chris, »dass die Leute hier fröhlicher sind als anderswo?«
    »Wenn du Fischer bist, weißt du, dass auch dein Boot irgendwann mal einen Motorschaden hat«, lacht da mein Nebenmann. »Wer dann nur noch von Feinden umgeben ist, hat einen Fehler gemacht. Schon deshalb ist es besser, wenn man zueinander nett ist.«
    Auch wenn es der Mann eher augenzwinkernd als Erklärung anbot, es sind diese einfachen Lehren des Alltags, auf die wir während der Reise immer wieder stoßen: Respekt, Rücksichtnahme, Gemeinsinn. Fast scheint es, als sei den Eliten im US-Kongress das alles nur abhandengekommen, wie es die Exparlamentarier in unseren Interviews beklagten.
    »Fühlen Sie sich denn hier draußen noch als Amerikaner?«, frage ich Chris, als sie am nächsten Morgen vor ihrem Geräteschuppen Bojen streicht.
    »Ja und nein«, antwortet sie unter kaltem blauem Himmel. »Wenn wir zum Festland fahren, sagen auch wir seltsamerweise, dass wir nach Amerika reisen. Aber bei Wahlen geben natürlich auch wir hier unsere Stimmen ab.« Obwohl die erst gezählt würden, lacht sie, wenn die Wahl längst vorüber sei. Trotzdem hofften sie, dass auch die Fischer von Monhegan Wahlen entscheiden könnten, wenn es denn wirklich einmal knapp würde.
    Bevor wir weiterreisen, zeigt uns Chris zu Hause, wie sie ihre Inselromantik durch Nebenjobs absichert. In der Büroecke des Wohnzimmers, mit Blick auf Meer und Felsen, gehen sie und ihr Mann Rich, die sich am College kennenlernten, seit Jahren auch etlichen Internet-Jobs nach, von Buchhalterdiensten für Firmen bis zu Aufträgen in der Erwachsenenbildung. »Als wir uns

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