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Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Titel: Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Scherer
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Townsend bitten, spielen dort zwei der Studenten Seemannslieder. Sie handeln von Heim- und Fernweh. Auch Jack hört ihnen zu. »Ich wünschte«, singen die beiden, »ich würde finden, wonach ich suche.«
    Als Jack uns auf seiner »Emily« noch ein Stück weiter nach Norden bringt, frage ich ihn, ob er es denn gefunden habe.
    »Ich glaube schon«, nickt er. »Das Klima hier oben ist mild, es wird im Sommer selten heiß und im Winter nicht zu kalt. Und das Wichtigste: Es gibt hier kaum Moskitos.«
    Kalter Krieg im Niemandsland
     
    Später in Alaska wird es eine Wildhüterin sein, die wir als amerikanische Alltagsheldin porträtieren. Sie siedelte aus Texas ins Umland von Anchorage über, um zwei verwaiste Grizzly-Junge aufzuziehen. Und noch weiter im Nordwesten, am Rand des Goldgräbernestes Nome, ein Ehepaar aus West-Virginia – sie Krankengymnastin, er Gemeindereferent –, das in einer Bausatz-Jurte lebt wie unter einer Zirkuskuppel, weil ihm für ein Haus das Geld fehlte. Beim nächsten Umzug können sie einfach Dach und Außenhaut wegnehmen und das Holzgerüst wie einen Jägerzaun zusammenfalten.
    Längst reisen wir nicht mehr auf Verbindungsstraßen. Es sind Motorschlitten oder Buschflieger, die hier Orte verbinden. Die einzige Eisenbahnlinie war nur in Betrieb, als an den Stränden der Gegend Goldklumpen gefunden wurden, die plötzlich all die Glücksritter vom Klondike, vom Yukon und aus Dawson City herüberlockten. Heute ragt nur noch das rostbraune Wrack einer vergessenen Dampflok hervor, als weithin einziger Fleck zwischen Packeisdecke und Inlandschnee.
    Die ganze Küste, über die wir später unserem Zielpunkt entgegenfliegen, strahlt so unter der Wintersonne. Nur noch konturloses Weiß ist zu sehen, vom Küstensaum bis zu den Bergkämmen hinauf – und draußen, jenseits der Packeiskante, tiefblaues Meer.
    Von Außenposten zu Außenposten hatten wir Amerika ausmessen wollen. Als Pendant zu Maines Insel Monhegan, wo Fischerin Chris ihre Hummer fing, peilen wir nun Alaskas Inuit-Gemeinde auf Little Diomede Island an, das die russische Grenze von der Schwesterinsel Big Diomede trennt. Nachdem der Pilot die Küstenlinie unter uns verlassen hat, verdichten sich die Wolken. Irgendwann zeigt sein Radarschirm die beiden Insel-Punkte an. Dann, unter der Wolkendecke, erkennen auch wir sie: zwei tief eingeschneite Felsenkegel, die sich schroff aus dem Eismeer wölben. Einmal umfliegen wir die Steilhänge der kleineren Insel, an deren Fuß wir die einzigen Hütten erkennen. Fast mediterran hängen sie, von Stelzen gestützt, über dem Ufer. Darüber steigt der karge Berg an, bis ihn die Wolken deckeln. Es ist einer jener Augenblicke, die ich von früheren Abenteuerreisen kenne. Augenblicke, in denen ich mir die Frage stelle, wie hier wohl jemand überleben kann. Als bewegten wir uns im toten Winkel der Welt. Wunderschön zwar, aber unendlich einsam. Und dennoch lernte ich jedes Mal, dass auch diese Orte Menschen schlichtweg Heimat geben.
    Mit Kurs auf die Landebahn zwischen den Inseln geht der Pilot zum Sinkflug über, bis er auf dem blanken Eis aufsetzt. Kaum ist der Flieger ausgerollt, düsen die ersten Motorschlitten an, manche mit klobigen Anhängern, um Fahrgäste und Versorgungsgüter abzuholen. Und mit ein paar Fluggästen, die der Pilot nun mit zurück nach Nome nimmt.
    »Willkommen auf Diomedes, es wird euch gefallen«, begrüßt uns ein Mann im weißen, pelzgesäumten Parka. Sein kurzes Haar ist pechschwarz, seine Haut blass. Ein dünner Oberlippenbart ziert sein Gesicht, als sei er ein stiller Fan Clark Gables. »Der Ort ist so einzigartig wie die Menschen, die hier leben«, verspricht uns Robert Soolook – so wie es auch Chris über ihr Inseldorf gesagt hatte. Zuerst auf der Landepiste, dann durch eine Spur im Packeis bringen uns die Schneemobile zu den Hütten, die nur durch Pfade und Holztreppen verbunden sind. Im Klassenraum der Schule beziehen wir Quartier – auf Matratzen, die wir morgens vor Unterrichtsbeginn wieder verstauen.
    »Viele dieser Kinder haben noch nie einen Baum gesehen«, sagt die junge Lehrerin Adrienne Lee, die sich aus Kalifornien für ein Alaska-Jahr gemeldet hat. »Dafür lernen sie früh, wie man tagtäglich mit 50 Grad Kälte umgeht.« Im Pausenraum frage ich zwei Kinder, die gerade ihre Ration Apfelmus und Zimtschnecken verdrücken, nach ihrem Lieblingsgericht. Beide überlegen kurz und sagen dann das Gleiche: »Pizza.«
    Dabei hält die arktische Küche derzeit anderes

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