Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
erscheinen lässt.«
Tatsächlich reicht ihre Argumentationskraft von Beginn an kaum über das Plädoyer Michele Bachmanns hinaus, mit dem sie dem Publikum einer TV-Debatte darlegen wollte, was ihre Politik von der Obamas unterscheide. »Was ich sagen möchte, ist dies«, holte die einzige Frau in der Bewerberriege aus, »ich bin jeden Tag in den Vereinigten Staaten von Amerika unterwegs, und meistens rede ich mit Müttern in diesem Land. Ich bin eine Mutter. Ich möchte heute Abend etwas zu all den Müttern draußen im Land sagen. Präsident Obama hat versagt. Ich werde nicht versagen. Harrt aus, Mütter. Es ist noch nicht zu spät.«
Hüpfer und Schaumschläger
Zuvor schon hatte Sarah Palins Dauerkoketterie um die Frage, ob sie denn nun antreten wolle oder nicht, die Medien über Gebühr beschäftigt. Ebenso wie der schillernde Bauunternehmer Donald Trump, der den alten Vorwurf der Obama-Hasser wieder ausgrub, dass dieser nicht in den USA geboren sei und somit nie hätte gewählt werden dürfen. Es sind sehr durchsichtige Manöver, allein um die Aufmerksamkeit der Sender zu erheischen, inhaltlich jedoch längst durchberichtet, irrelevant und abwegig. »Ich habe noch nie so viele Kandidaten in Umfragen hochschießen und wieder abstürzen sehen«, wundert sich US-Historiker Allen Lichtman. »Es ist wie der Aufstieg und Fall des Römischen Reiches im Zeitraffer.«
Mich erinnert das öffentliche Schaumschlagen an eine Veranstaltung, die in Deutschland der Bundeswahlleiter gewöhnlich abhält, um seriöse von unsinnigen Parteibewerbern zu trennen. Als ich einmal darüber berichtete, behaupteten dort Menschen, es sei ein politisches Programm, auf Gummibällen zu hüpfen. Aber immerhin war der Spuk an einem Tag vorbei. Hier hält er sich dank der Dauerhysterie der US-Medienmaschinen schon mal über Wochen in den Schlagzeilen.
Unterdessen kann sich der Präsident vorsichtig über die Aussicht freuen, dass sich der Arbeitsmarkt langsam erholen könnte. Nun endlich fällt die Arbeitslosenrate unter neun Prozent. Für einen Amtsinhaber zwar immer noch zu hoch, um wiedergewählt zu werden. Aber eine Trendwende gäbe ihm das Argument, dass sich seine Beharrlichkeit auszahle. Und Wählern womöglich die Zuversicht, dass sich auch ihre Lage nun bald bessern könnte, auch ohne ein neuerliches Experiment im Weißen Haus.
»Ironischerweise kämpft Obama gegen eine Entwicklung an, die Deutschland aus den Achtziger- und Neunzigerjahren kennt«, erklärt uns Howard Rosen vom Petersen Institut für internationale Wirtschaft. »Damals gab es dort viele Langzeitarbeitslose und wenig Bewegung auf dem Jobmarkt. In den USA dagegen verloren Menschen eher kurzzeitig den Job und wurden rasch wieder eingestellt.« In den letzten 20, 30 Jahren sei jedoch in Amerika die strukturelle Arbeitslosigkeit gewachsen, weil der Bedarf sich wandelte, Ausbildungs- und Umschulungsprogramme aber – anders als in Deutschland – fehlten. »So etwas hatten wir nie nötig«, sagt er, »das ist unser Hauptproblem.«
9 Drei-Küsten-Tour
Das andere Amerika
Am Neujahrstag 2012 liefere ich dem heimischen Fernsehprogramm eine winterliche Reisereportage zu, in der wir jenseits der parteipolitischen Querelen Washingtons, des Steuer-, Schulden- und Tea-Party-Gezänks, nach einem anderen, unaufgeregten Amerika suchen. Wir sparen die Großstädte aus, über die wir schon genug berichten. Stattdessen durchqueren wir die USA auf ihrer nördlichsten Route. Schon der Bilder wegen wird es eine lohnende Reise durch die Großlandschaften Nordamerikas: die wilde Atlantikküste Maines, die Hügel von Neuengland, die Großen Seen und Ebenen, die Rocky Mountains, die Buchten des Pazifiks. Und dann weiter nach Nordwesten, durch Alaskas »letzte Wildnis«, wie es hier heißt, bis ins Niemandsland der Beringstraße. Zwei Inseln, eine noch amerikanisch, die andere schon russisch, sollen unser Fernziel sein: Klein- und Groß-Diomedes, wo nur noch wenige Inuit-Familien leben – und beklagen, dass der Krieg zwischen den Großmächten ihren Lebensraum bis heute geteilt hat.
Es wird eine Reise, die uns zu vielen Menschen führt, die tagtäglich ihr Leben meistern, trotz aller Widrigkeiten. Die eigene Wege gehen wie einst die Pioniere des neuen Amerika. Nicht hasserfüllt, sondern zuversichtlich und auf die eigenen Fähigkeiten vertrauend oder auf die Fülle der Natur. Die das Land vielleicht noch immer mehr ausmachen als das, was wir Washington-Korrespondenten
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