Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
und um bin Laden unschädlich zu machen. Schon dafür verdient er seine Wiederwahl.« Es koste Zeit, Kriege zu beenden und eine Wirtschaftskrise zu überwinden. Aber die Leute würdigten das mehr und mehr. Viele der Freiwilligen halfen Obama schon in seinem ersten Wahlkampf. Nun gehen sie erneut von Tür zu Tür, telefonieren Anruflisten ab, verschicken Mails und verlinken ihre Online-Werbung – alles für den Mann im Weißen Haus, dessen Zeit sie noch lange nicht für abgelaufen halten. »Als Obama anfing, stand der Autosektor vor dem Kollaps, nun ist er wieder Weltspitze, was für eine Bilanz«, schwärmt ein stämmiger Senior. »Wir sind optimistischer denn je. Es wird ein wunderbares Jahr.«
Zuletzt winkt uns eine 76-jährige Schwarze zu sich. »Ich bin im Washington der Rassentrennung aufgewachsen«, sagt sie mit voller Stimme. »Die Lehrer erklärten uns damals: Ihr müsst doppelt so gut sein wie andere, um nur halb so viel Anerkennung dafür zu bekommen. Genau so ergeht es Obama auch.«
Antworten aus Amerika:
»On Top of the Game!«
Sowohl Newt Gingrich als auch Rick Santorum steigen im Lauf des Frühjahrs als Bewerber um die Präsidentschaft aus. Zu groß wurde der Rückstand. Für ihre Geldgeber lohnte sich die Investition nicht mehr. Großverdiener Romney wird weiter Steuersenkungen versprechen und Europas Soziale Marktwirtschaft verteufeln, wenngleich man ihm entgegenrufen möchte: »Was macht Sie nach dem US-Finanzkollaps eigentlich so sicher, dass Amerikas Kapitalismus funktioniert?«
Wenn dieses Buch erscheint, werden wohl gerade die Bühnenbilder für die Parteitage entworfen, Reden geschrieben, Pointen getestet. Zugleich fahren dann vor unserem Haus in Washington die Möbelpacker vor. Was nehmen wir wohl außer dem Umzugsgut noch mit aus Amerika? Schnappschüsse von den Kindern, die morgens in den gelben Schulbus steigen, werden wir bald als Erinnerungsfotos an neue Wände hängen. Andere zeigen die Familie vor der New Yorker Freiheitsstatue oder am Aussichtspunkt über der Golden-Gate-Brücke und San Franciscos Skyline, im beschaulichen Neuengland, in den Sanddünen North Carolinas oder im Winter von Colorado. Unzählige Menschen, denen wir begegnet sind, haben Wurzeln in den verschiedensten Ländern der Welt. Umso mehr hatte ich den Eindruck, ich beobachtete hier keinen Nationalstaat, sondern noch immer das amerikanische Projekt.
So zogen Jahre vorüber wie Wochen. Eben erst haben wir uns daran gewöhnt, dass funktionsfähige Laufrädchen in Spülmaschinen nicht zum Mindeststandard von US-Marktführern gehören. Oder dass unsere Tischnachbarn im Restaurant stets in Schräglage essen, in einer Hand die Gabel, die andere auf dem Knie. Als ich davon gehört hatte, dass Amerikaner zwar beidhändig speisen könnten, nur eben nicht gleichzeitig, hatte ich es noch für eine mäßige Pointe gehalten. Wenn ich neben Restaurant-Toiletten lese, das Personal sei verpflichtet, sich die Hände zu waschen, frage ich nicht mehr, was wohl die Mahnung nötig macht – und warum lediglich fürs Personal. Dass die First Lady bei Bürgern nicht nur dafür werben muss, gesünder zu kochen, sondern überhaupt zu kochen, werfe ich ihnen nicht mehr vor. Nur dass sich in der Weltkapitale Washington noch nicht herumgesprochen hat, wie man Kanaldeckel der Asphalthöhe anpasst, nahm ich dem angeblichen Autoland mit jedem Beinahe-Achsbruch übel.
Als ich in Hamburg zuletzt meine Transamerika-Reportage vorstellte, fragte mich ein Printkollege, was ich an Amerika am meisten schätze. »Mir imponieren die Weite, die Natur und die erfrischende Art, wie viele dort mitten im Leben etwas Neues beginnen«, sagte ich, »dazu die Alltagsherzlichkeit der Amerikaner, ob sie einen nun gleich Sweety nennen oder nicht.«
Tatsächlich fällt mir das bis heute auf: dass auf der Straße Menschen zurücklachen, wenn sich Blicke treffen; dass sie ein nettes Wort verlieren, sobald es geboten scheint; kurz, dass sie in aller Regel freundlich und gelassen sind. Wie sehr uns Mitteleuropäern das entgegenkommt, formulierte keiner trefflicher als der Romanautor Jörg Thadeusz – der nach etlichen USA-Reisen notierte, wir Deutschen seien mit einem Lächeln gegenüber Fremden vergleichsweise so freigiebig, als müssten wir dazu noch eine Niere spenden.
Anders oder unfair?
Sicher, es gibt wenig Trostloseres auf Reisen als Drei-Sterne-Unterkünfte, die Porzellanteller nur noch als Wanddekor kennen und einem Mahlzeiten anbieten, als sei
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