Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
man zum Picknick verabredet. Als ich in solcher Umgebung zuletzt um »Silverware« bat, also um Messer und Gabel, brachte mir der »Manager« – das ist der Herr, der alle zehn Minuten schwarze Müllsäcke mit Tischabfall füllt – wohlmeinend ein neues, silberfarbenes Besteck, ebenfalls aus Plastik. Dann gab ich auf.
So viel Umweltschützer-Unmut der neu gewählte Parlamentspräsident John Boehner in Washington auch auf sich zog, als er vor seiner johlenden Fraktion verkündete, mit ihm kehre ins hohe Hause auch wieder das verbannte Kantinengeschirr aus Styropor zurück – draußen im Land gewänne er damit vermutlich jede Abstimmung.
Das mag alles nicht viel bedeuten. Zudem lässt es sich verrechnen mit jenen Misslichkeiten, die uns Korrespondenten auch in Deutschland auffallen, wenn wir nach Jahren zurückkehren und auch dort nur die zutreffende Begründung erhalten: »Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Aber es war schon immer so.« Als mich zu meiner Zeit in Tokio die Japaner fragten, warum es in deutschen Städten, wo man auf so bewundernswerte Weise seinen Müll sortiere, denn so viele Hundehaufen gebe, da war ich derjenige, der ihnen diese Antwort gab. Während in Japan – wie auch in den USA – jeder Hundehalter ganz selbstverständlich auch ein Tütchen-Halter ist. Oder, ernsthafter: Wie soll man der Welt erklären, dass es in Deutschland noch immer Nazis gibt?
Aber lässt sich so jede Kritik verrechnen? Manche Fürsprecher verweisen zu Recht darauf, dass die amerikanische Gesellschaft etwa auf andere Weise solidarisch sei als unsere. Statt des reflexartigen Rufs nach der alles regelnden Regierung gebe es mehr Nachbarschaftshilfe, mehr private Spenden, mehr Eigeninitiative. Ein guter Teil der Denktradition gehe hier schließlich auf Siedler zurück, die gerade vor zu viel Regierungs- und Monarchenmacht aus Europa ausgewandert seien. Mag sein, wir würdigen dies zu wenig. Tatsächlich ist das Engagement von Einzelnen in den USA beeindruckend, nicht nur in Armenküchen und Kleiderkammern. Der Elternverein der öffentlichen Schule, die unsere Kinder besuchten, erwirtschaftete jedes Jahr weit über 100 000 Dollar durch Auktionen, was dem Schuletat zugutekam. Andererseits vergrößert eben das den Unterschied zwischen reichen Stadtbezirken, deren Eltern große Summen spenden können, und ärmeren, deren Schulen entsprechend schlechter ausgestattet sind.
Zudem sind derlei Schattenpreise auch für Gutverdiener hoch. Selbst der Kinderchor, der schon über 1000 Dollar Jahresgebühr kostet, bittet da vor Weihnachten schon mal um Sachspenden für die Versteigerung – und verlinkt die Mail gleich zu den Wunschprodukten aus dem Online-Handel, vom neuesten Computer-Tablet bis zum Flachbildfernseher.
So sehr ich in diesen Jahren das Engagement etwa von Ärzten schätzte, die unversicherten Patienten honorarfrei Zähne ziehen: Als funktionierendes, postkoloniales Sozialwesen konnte ich das nicht begreifen. Eher schien mir, dass mit der These des »anderen« Systems auch Klüfte zwischen Arm und Reich beschönigt werden, die sich sonst nur in Entwicklungsländern finden.
Klug oder Altklug?
Weil Barack Obama vor vier Jahren den Eindruck machte, er könne sein Land reformieren, wurde er auch von vielen Deutschen geschätzt. Weil er es nicht so schnell und umfassend wie erwartet schaffte, waren ebenso viele enttäuscht. Aber ist das fair? Gemessen an den Brocken, die er, wie man hier sagt, auf dem Teller hat, erscheint er mir noch immer als einer der fähigsten Politiker, die die Welt derzeit zur Verfügung hat. Nicht nur weil er von Anfang an das Möglichste von seinen Wahlversprechen umsetzte. So authentisch und detailliert sein Wahlprogramm war, so erkennbar war sein Bemühen, in brillanten Reden sowohl das Erreichte als auch das bisher Verpasste zu erläutern. Das auf der Skala zwischen Volksnähe und Abgehobenheit als zu intellektuell anzusiedeln, halte ich für falsch. Das vorauseilende Lob Zbigniew Brzezinskis, dass einem demokratischen Politiker nicht mehr bleibt, als mit Worten für seine Politik zu werben, habe ich von keinem Politiker konsequenter umgesetzt gesehen als von Obama: im Erfolg, wie auf dem Weg zu seinem Triumph 2008; im Scheitern, wie bei seinem Eingeständnis, dass er Guantanamo nicht wie geplant schließen konnte; und im Graubereich dazwischen, wie bei der Verleihung des Friedensnobelpreises – an einen Präsidenten, der zwei Kriege führte.
Viel von der Kritik, die ihn aus
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