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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hatte, oder sie brach vor seinem Leichnam zusammen, riß einen Dolch aus ihrem Kleid und stieß ihn sich in das Herz, im Tode endlich mit ihm vereint.
    Das Fieber verging, und mit ihm jene tragischen Träume. Während er endlich verspätet in der Postkutsche nach Harrow saß, tauchten statt dessen andere Vorstellungen auf. Wie mußte sie über ihn gelacht haben! Nie, nie wieder würde er sich wegen einer Frau derart lächerlich benehmen. Er war endgültig von der Liebe geheilt. Keine von diesen koketten, nichtswürdigen Wesen würde ihm je wieder etwas bedeuten, würde ihn jemals ausnützen können. Sie waren alle gleich. An Augusta, die von seiner Verdammung aller Frauen verschont geblieben war - er zog es vor, sie sich als geschlechtsloses Wesen zu denken - schrieb er: »Ich bin fest überzeugt, daß so etwas wie Liebe nicht existiert.«
    Mit Todesverachtung widmete er sich der verhaßten Mathematik, der wesentlich angenehmeren Rhetorik, dem Studium griechischer Klassiker und ließ sich gelegentlich in Raufereien mit all den jugendlichen Grafen und Herzögen ein, die den Lehrern von Harrow das Leben schwermachten.
    Wenn ihn - vor allem in den nächsten Ferien - die Erinnerung dann und wann quälte, versuchte er sich in Versen - er hatte vor einiger Zeit den Zauber der Worte entdeckt.
     
    Annesleys Berge, bleich und öd ihr,
    Wo gedankenlos als Kind
    Ich gestreift - wie wild umweht ihr
    Und umheult von Sturm und Wind!
    Nicht, wie sonst so gern ich immer
    Doch getan es, träum ich hier;
    Marys Lächeln läßt ja nimmer
    Euch ein Eden scheinen mir.
     
    Byron begann Freude an der Reimerei zu finden und kritzelte von nun an öfter als früher auf Papier, was ihm die Stimmung eines Augenblicks eingab.
    Als seine Mutter ihm von Mary Chaworth’s Vermählung erzählte, sagte er nur »Ach, ja?« und verlangte nach dem Frühstücksei. Mary war in seiner Phantasie längst zu einem Doppelwesen geworden: für die irdische Mary hatte er nur Hohn und Spott, die überirdische, unsterbliche Geliebte hatte er zum Idol stilisiert, an das er ständig Gedichte schrieb, die er wieder vernichtete.
    Augusta war mittlerweile mit George Leigh verlobt. General Leigh verweigerte dem zum Captain beförderten George seine Zustimmung zu einer sofortigen Eheschließung, und da weder Augusta noch Cousin George über nennenswerte eigene Einkünfte verfügten, blieb es auf diese Weise zunächst bei einer Verlobung. George Leigh ließ Augusta schwören, daß sie auf ihn warten werde, und war im übrigen nicht wirklich unglücklich über die Aussicht auf ein etwas längeres Junggesellendasein. Er liebte Augusta auf seine Art, sie war seine Cousine, er fand sie hübsch und unterhaltsam, genau die Art Mädchen, die man heiraten möchte, aber - es gab doch noch so viele andere!
    So gab er seinem Vater halbwegs recht, als dieser Augustas bescheidene Mitgift erwähnte, die im Augenblick eine Ehe unmöglich machte.
    Byron nannte den General dafür in seinen Briefen »L’Harpagon« und schlug seiner Schwester vor, mit George nach Schottland durchzubrennen. Er neckte sie damit, daß sie eines Tages noch das Brautkleid für Großmütter einführen würde.
    Im übrigen genoß er sein letztes Jahr in Harrow, die Freundschaft seiner Altersgenossen und die Bewunderung seiner jüngeren Proteges, die in ihm eine Art Held sahen. Als er die Schule verließ, hatte Harrow in seinen Gedichten den Platz von Mary Chaworth eingenommen. Bei allem Abschiedsschmerz war er mit seinen siebzehn Jahren aber och gespannt auf das Studium in Cambridge: »Nur Snobs gehen nach Oxford.«
     
    Cambridge mit seinen elegant-geschwungenen gotischen Gebäuden bezauberte ihn und erschien ihm wie ein Traum aus dem Mittelalter. Sein College, Trinity College, war eines der ältesten und berühmtesten, großzügig angelegt und hatte schon viele Staatsmänner und Künstler hervorgebracht. Man war sich der Tradition sehr bewußt und stellte die höchsten Ansprüche.
    Als Byron hörte, daß er wegen der Hausordnung auf seinen geliebten Neufundländer Boatswain verzichten müßte, schaffte er sich einen zahmen Bären an und hatte nach einem ausgedehnten Streit mit den Autoritäten das Vergnügen, ihn für die Dauer seines gesamten Studiums dort halten zu dürfen. Dieser Bär verschaffte ihm gleich einen gebührenden Einstieg in das Universitätsleben: Zum Gaudium aller Mitstudenten umarmte das Tier während einer Vorlesung einmal den Professor. »Ihm hat Ihr Vortrag so gut gefallen«, verteidigte

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