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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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sich Byron, als ihn später das Opfer erbost zur Rede stellte. »Ich finde, er ist sehr bildungsfähig. Er sollte in eine Studentenverbindung aufgenommen werden.«
    Das Leben zeigte sich von seiner besten Seite - und die Mädchen auch. Byron stürzte sich in eine Reihe kurzer Affären mit zahlreichen blauäugigen Carolines, Annes und Coras und achtete darauf, daß er derjenige war, der jeweils die Liaison beendete. Wesentlich ernster nahm er den Wunsch, in eine der zahlreichen Studentenverbindungen aufgenommen zu werden, in den Whig Club beispielsweise, der erst neu von einem gewissen John Cam Hobhouse gegründet worden war.
    Hobhouse und Byron waren sich immer wieder bei Vorlesungen und Studententreffen begegnet und beäugten sich zunächst mit einer nicht näher bestimmbaren Abneigung. Für John Cam Hobhouse war Byron ein junger Adeliger mit einem quecksilbrigen Temperament, der das Universitätsleben nur als besseren Zeitvertreib anzusehen schien und im übrigen nicht zum nützlichen Teil der Bevölkerung zählte. Für Byron war Hobhouse ein auf den ersten Blick unbeweglicher und farbloser Charakter, der alleine durch eine gewisse Wortgewandtheit auffiel. Als Byron erfuhr, daß Hobhouse sich auch politisch betätigte und nicht weniger als zwei derartige Verbindungen, darunter eben den Whig Club, gegründet hatte, sah er sich gezwungen, seine Einschätzung etwas zu ändern.
    Hinter dem unscheinbaren Hobhouse steckte mehr. Byron wäre selbst sehr gerne Mitglied eines solchen Clubs gewesen, denn die Politik begann ihn immer mehr zu interessieren. Im Augenblick herrschte im Land ein jäher Auftrieb des Konservativismus, den die Eroberungsfeldzüge Napoleons begünstigten. Die konversativen Tones hatten es erreicht, daß ihre Gegner, die Whigs, kraft eines Dekrets von der Regierung ausgeschlossen blieben. Diese Entscheidung löste heftige Diskussionen unter den Studenten aus. Hobhouse und sein Club besaßen angeblich Verbindungen zur Presse der Hauptstadt, was sie nur noch beneidenswerter erscheinen ließ.
    Doch wie sollte man an sie herankommen? Byron hätte sich eher die Zunge abgebissen, als bei Hobhouse den Eindruck entstehen zu lassen, er wolle sich anbiedern. Der Zufall kam ihm zur Hilfe, als er sich nach einem Gottesdienst in der Kapelle des College bei dem Verlassen des Gebäudes neben Hobhouse wiederfand. Hobhouse begrüßte ihn höflich und bemerkte: »Die Predigt war ziemlich langweilig, nicht wahr? Es überrascht mich, daß Sie in der letzten Zeit so regelmäßig an den Messen teilnehmen… bitte mißverstehen Sie mich nicht, ich meine das nicht böse… Sie erschienen mir nur nie sehr religiös.« Byron war weit davon entfernt, gekränkt zu sein. Er lächelte und zuckte die Achseln. »Ich bin es nicht. Glauben Sie wirklich, ich komme hierher, um mir den alten Debon anzuhören? Dann schon lieber eine Geschichtsvorlesung bei Lovell!«
    Hobhouse hob die Hand, um sein Grinsen zu verbergen, denn Lovell war unter den Tutoren des College wohl der langatmigste. Byron fuhr fort: »Nein… es ist die Musik, die mich fasziniert. Haben Sie nicht den Sänger bemerkt, der die meisten Solopartien übernimmt?« Hobhouse nickte zustimmend. »Ja, natürlich… Edleston, John Edleston. Er singt Sopran, oder?«
    »Altus«, korrigierte Byron automatisch und fügte hinzu: »Sie kennen ihn?« Hobhouse schüttelte den Kopf und musterte den Jungen vor ihm. »Wollen Sie sagen, daß Sie jeden Sonntag an die zwei Stunden Debon ertragen, nur um John Edleston zu hören?« Byrons Miene war undurchdringlich. Er erwiderte: »Ich würde sogar drei Stunden Hobhouse ertragen, nur um die neuesten Nachrichten aus London und Europa zu hören.« Hobhouse stutzte einen Augenblick, starrte auf sein Gegenüber.
    Dann lachte er. Damit war das Eis zwischen den beiden gebrochen. Hobhouse schlug ihm auf die Schulter, eine überraschende Geste bei einem so zurückhaltendem Menschen.
     
    »Sie sollen Ihre drei Stunden bekommen, bei Gott. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie am nächsten Donnerstag um fünf Uhr zu unserer Sitzung kommen würden. Und… ach ja, Matthews hat erwähnt, daß Sie gelegentlich etwas schreiben.«
    Matthews war ein gemeinsamer Bekannter, Byron spürte einen Augenblick lang leichten Ärger in sich aufwallen: Er hatte vor, im nächsten Jahr anonym einen Gedichtband zu veröffentlichen, und er konnte darauf verzichten, daß das ganze College davon erfuhr. Es wäre schrecklich, mit jenen Einfaltspinseln, die entweder Robert Southey

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