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Wahnsinn

Titel: Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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mitnehmen? Ich nehme Sie mit, kommen Sie.«
    Der Mann richtete sich auf alle viere auf, konzentrierte sich, verlagerte sein Gewicht auf die Beine und kam torkelnd zum Stehen.
    »Das Auto steht da drüben.«
    Er schloss die Fahrerseite auf und entriegelte die Beifahrertür. Dann stieg er ein und sah zu, wie der Mann sich um die Motorhaube herum auf die Beifahrerseite wuchtete. Schwer plumpste er auf den Sitz und saß dann, starr geradeaus blickend, schwer atmend und blinzelnd da.
    »Schön’ Dank«, sagte er.
    »Wohin?«
    Der Mann murmelte irgendwas.
    »Was?«
    Dieses Mal ar-ti-ku-lier-te der Mann deutlich.
    »Erste Straße hinterm Rumney-Depot. Nummer zwei-zwei-drei.«
    Arthur fuhr über den dunklen, ruhigen Highway. Dann und wann warf er einen Blick auf den Mann, sah seinen Kopf wackeln und die Augen langsam zugehen. Kurz darauf schnarchte der Typ wieder.
    Er fuhr am Depot vorbei und bog nach Norden in die Berge ab. Er kannte diesen Weg, da er von Zeit zu Zeit Frauen mit hierhernahm. Wegen der Aussicht, wie er ihnen weismachte. Hier kam nie jemand vorbei.
    Als der Straßenbelag schließlich von Schotter zu festgefahrener Erde wechselte, fuhr er langsamer, damit die Stöße den Typen nicht wachrüttelten. Er wollte nicht, dass er ihm den Lincoln vollkotzte. Als er sein Ziel erreicht hatte, hielt er an und wendete, so dass der Wagen wieder der Zivilisation zugewandt war. Er ließ den Motor laufen, stieg aus und ging zur Beifahrerseite hinüber.
    Der Typ lehnte gegen die Tür. Arthur öffnete sie, und der Kerl sank langsam wie eine gefällte Eiche in den Dreck.
    »Hey«, sagte der Mann. Er schien unfähig, geradeaus zu blicken. Dieser armselige Säufer würde sich am Morgen an gar nichts mehr erinnern.
    Außer vielleicht daran.
    Arthur packte ihn an den Handgelenken, zerrte ihn vom Auto weg und ließ ihn ins hohe Gras fallen, das grau im Mondlicht wogte.
    Dann trat er ihn.
    Versuchsweise zuerst, nicht zu hart, in die Rippen und in den Bauch. Der Typ machte umpf-umpf und versuchte, auf zitternden Beinen wegzukriechen. Arthur gab ihm einen halben oder ganzen Meter, dann trat er wieder auf ihn ein, härter diesmal, so dass der Kerl hinfiel. Dann stellte er sich vor ihn hin und trat ihm voll ins Gesicht.
    Der Typ kippte um und landete im Gras. Er blutete aus der Stirn. Arthur trat ihm die Beine auseinander, stellte sich dazwischen und kickte ihn hart in die Eier.
    Der Typ kreischte, krümmte sich zusammen und kotzte sich voll. Dann wälzte er sich auf die Seite und lag hustend und wimmernd da. Sabber tropfte ihm vom Kinn.
    Art ging zum Auto zurück, stieg ein und fuhr die Straße runter.
    Es war nicht so, dass er einen besonderen Hass gegen Betrunkene hegte.
    Betrunkene waren auch nur Menschen.
    Sorglose Menschen.
    Und das war es, was er nicht ausstehen konnte.
    Diese unbekümmerte, unachtsame, beinah gleichgültige Verletzlichkeit der Menschen. Sie brachten sich in Gegenwart von Wildfremden in die schlimmsten, bemitleidenswertesten Situationen und erwarteten auch noch, dass alles gut ausging. Als würde ihre Unschuld sie schützen, als wären Unschuld und Tugendhaftigkeit ein Schutzschirm gegen eine Welt, von der er wusste, dass sie existierte.
    Er war aus vielen Gründen auf diese Erde geschickt worden, unter anderem, um Typen wie diesem hier eine Lektion zu erteilen.
    Ihnen die Wahrheit beizubringen.
    Die Welt war ein finsterer Ort.
    Wo man sich vor den Folgen seiner Taten verkroch.
    Alle taten das, immer. Und dann vergaßen sie es. Und das war gefährlich.
    Denn so wurde man zum Opfer.

5
Im Duett
    Plymouth, New Hampshire ∙ Juni 1985
    Der Anblick war so zauberhaft und tat gleichzeitig so weh, dass Lydia es kaum aushielt, ihre Schwester zu betrachten. Sie war ohne den Brautschleier noch schöner und tanzte ganz in weiches, fließendes Weiß gehüllt – besser gesagt schwebte sie dahin. Doch seltsamerweise hatte sie die dumpfe Vorahnung, dass sich für ihre Schwester dieser perfekte Moment nicht wiederholen würde. Barbs Gesicht strahlte verzaubert, erfüllt von dem uralten Ritual der Verbindung zweier Seelen, so dass sie vor Aufregung errötete, weil es an das Ursprüngliche und Gute eines Lebens in Zweisamkeit erinnerte, das tief in ihr steckte. Etwas, das in diesem Moment, an diesem Tag, auf alle überging, die sie liebten. Das, dachte Lydia, ist die wahre Jungfräulichkeit. Nicht die des Körpers, sondern die des Herzens. Wer sie einmal verliert, hat sie für immer verloren.
    Auch ihrer Schwester würde es nicht

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