Wahnsinn
anders ergehen. Wenn sie Glück hatte und es klug anstellte, würde alles, was folgte, von den harten Realitäten verschont bleiben und der Fürsorglichkeit eines zufriedenen gemeinsamen Lebens entsprechen. Vielleicht Kinder, ein ausreichender Lebensunterhalt, guter Sex und andere Annehmlichkeiten, eine Arbeit, die ihr Freude machte, Liebe, Freundschaft. Doch ebenso gut konnte es passieren, dass sie nichts von alledem bekommen würde.
Was ihr ebenfalls eine gewisse Schönheit verlieh.
Ihre Mutter saß der einen Seite der Hochzeitsgesellschaft vor, flankiert von ihrer Tante und ihrem Onkel. Auf dem Gesicht ihrer Mutter schienen sich ihre eigenen Gedanken widerzuspiegeln – eine unbeugsame, durch nichts zu erschütternde Freude. Die zerbrechliche Schönheit des Augenblicks bahnte sich einen schmalen Pfad durch das Dickicht aus Schmerz und harter Lebenserfahrung ins Herz ihrer Mutter.
Das Leben mit ihrem Vater war für sie nicht leicht gewesen.
Für Lydia oder Barbara sicher auch nicht, aber vor allem nicht für ihre Mutter.
Sie fragte sich, woran sie sich wohl gerade erinnerte.
In der Doppeltür des Saals stand ein Mann. Lydia kannte ihn nicht. Sie nahm an, dass er zu Alans Seite – zur Seite des Bräutigams – gehörte, obwohl sie ihn während der eigentlichen Hochzeitszeremonie nicht bemerkt hatte. Der Mann sah sie mit einem unverhohlenem Interesse an, das nur deshalb nicht unhöflich wirkte, weil seine Augen und sein Lächeln so freundlich waren.
»Kennst du den Mann da?«
Cindy Fortunato, Barbaras ehemalige Zimmergenossin auf dem College, folgte Lydias Blick. Sie nippte an ihrem Champagner, bevor sie antwortete. Der Champagner war den ganzen Abend nachgeschenkt worden, und Cindy hatte die ganze Zeit über tapfer mitgehalten.
»Klar. Das ist Arthur Danse. Ihm gehört der Laden hier.«
»Er glotzt mich an.«
»Echt?« Cindy lachte. »Hey, schön für dich. Er ist süß, und er hat Geld.«
»Er ist der Besitzer?«
»Genau. Du könntest es wirklich schlechter treffen, Liddy.«
Sie wusste, dass ihre Schwester und ihre Freundinnen früher, während ihrer Studienzeit am Plymouth College, häufig die Bar und das Restaurant auf der anderen Seite dieser Doppeltür besucht hatten. Deshalb hatte sich Barb bei ihrem Hochzeitsempfang auch für das Caves entschieden – deshalb, und damit Alans Familie, die hier in der Stadt lebte, keine lange Fahrt auf sich nehmen musste. Der Festsaal war anscheinend erst kürzlich angebaut worden. Was hieß, dass Cindy wahrscheinlich Recht hatte. Danse ging es offenbar nicht schlecht.
Aber darauf kam es ihr nicht an. Worauf es mir in diesem Augenblick ankommt, dachte sie – nachdem sie ihrerseits drei Gläser Champagner intus hatte –, war die Tatsache, dass er süß war.
Die Sache mit Jim schien eine Ewigkeit her zu sein.
Sie entschied, dass es ihr dieses Mal egal war, dass sie jemand anglotzte.
Endlich wusste er, warum er die Augen einfach nicht von ihr lassen konnte.
Sie war weder die schönste Frau im Saal – die Braut beispielsweise war hübscher – noch die am besten angezogene oder die eleganteste, und die beste Figur hatte sie auch nicht.
Ihm fiel auf, dass es Frauen gab, die anscheinend das gewisse Etwas besaßen: Man wollte auf der Stelle mit ihnen reden, ihnen auf der Stelle das Herz ausschütten. Obwohl er dieses Bedürfnis nie so richtig hatte nachvollziehen können, war er sich doch sicher, dass sie eine dieser Frauen war, die in vielen Menschen genau dieses Bedürfnis weckte. Irgendwie lag es an ihren Augen, in denen Aufgeschlossenheit, ja Interesse, lagen, so dass das das jüngere Mädchen, das neben ihr saß, sich ihr während ihrer Unterhaltung zuwandte, als gäbe es da eine Art unerklärliche Anziehungskraft.
Er wusste instinktiv, dass dies die Sorte Frau war, für die sich der Typ an der örtlichen Tankstelle sogar die Mühe machen würde, die Windschutzscheiben vorne und hinten zu putzen und sie auch bei den Reparaturrechnungen nicht zu bescheißen. Die Sorte Frau, mit der andere, womöglich mutigere Frauen, Freundschaft schließen und sie beschützen wollen wie eine liebgewonnene kleine Schwester – sogar dann, wenn sie in Wahrheit jünger waren als sie selbst. Diejenige Sorte Frau, die Männer immer begehren würden.
Jemand, den man besitzen wollte.
So wie er sie besitzen wollte, wie ihm nun bewusst wurde. Und sei es nur, um ihr ein oder zwei Lektionen zu erteilen. Beispielsweise, dass sie nicht immer auf Schutz hoffen konnte.
»Bitte ihn
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