Wahnsinns Liebe
Lustzelt mit weißen Fellen und ringsum an den Wänden weißen Batistbehängen, hinter denen sich die Möbel verbergen. Viele, die Loos verehren, würden dafür bezahlen, das berüchtigte Esszimmer mit der Kaminnische zu besichtigen.
Aber dort stehen jetzt neben dem Hausherrn zwei |55| Männer, denen das alles gleichgültig ist. In diesem Moment, jedenfalls. Der offene Kamin mit kantiger Kupferhaube, unverputzten, hart weiß verfugten Ziegeln, die schmucklose enge Sitzecke mit eingebauten hochlehnigen Bänken daneben, die dunkle hölzerne Kassettendecke. Beide, Schönberg wie Altenberg, sehen angespannt aus, Altenberg unverhohlen begehrlich. Wie üblich hat er seine Brille in den Gürtel eingehängt, den er um die Strickweste geschlungen hat. Er wischt die feuchten Hände an seiner ungebügelten karierten Hose ab, die nur als Markenzeichen entschuldbar ist. Auch das Hemd von Schönberg – sein Sakko hat er achtlos über einen polierten Mahagoniwandtisch geworfen – zeigt die Flecken der Nervosität. Beide ahnen, was in dem Tresor liegt.
»Los, mach schon«, sagt Altenberg.
»Mit zwei o?« fragt Loos, spürt, wie seine Scherze die Freunde entnerven, und kostet es aus, sie zu beobachten, während er ganz langsam den Deckel der eisenbeschlagenen alten Truhe öffnet. Kurz bevor der Deckel so weit aufgeklappt ist, daß die Neugierigen den Inhalt erahnen könnten, läßt er ihn wieder fallen. »Nein, ich kann nicht, ich darf nicht.«
»Warum?« stöhnt Altenberg.
»Dr. Beer war ein Kunde, und er hat mir vertraut. Er hat mir diese Kiste übersandt, damit ich das, was drin liegt, verberge. Nicht, damit ich es herzeige.«
»Und? Jetzt ist er tot und kein Kunde mehr. Sein Vertrauen kannst du also nicht mehr verlieren«, sagt Altenberg.
Alle in ihren Kreisen haben mitbekommen, daß Loos im Prozeß gegen Beer ausgesagt hat. Alle wissen, welchen Vergehens der Mediziner bezichtigt worden ist, |56| dieser Dr. Beer, der große Wiener Physiologe, berühmt geworden und vermögend, der für sich und seine schöne, katzenhafte junge Frau von Loos am Genfer See die Villa Karma bauen ließ. Jeder in ihren Kreisen hat erfahren, daß der Bauherr die Villa Karma nie bezogen hat: Beer erschoß sich im Gefängnis mit einer freundschaftlich hineingeschmuggelten Pistole, seine Frau vergiftete sich. Über zwei Jahre ist das her, aber keineswegs vergessen. Und die Ursache, der Auslöser dieser Tragödie liegt in der eisenbeschlagenen Truhe. Gestern hat Loos das nach dem vierten Seidel Bier den Freunden am Stammtisch im Löwenbräu verraten.
Schönberg steckt die Hände in die Taschen. »Was soll das? Du redest dauernd von Klarheit und von Kompromißlosigkeit. Und daß jeder Schnörkel eine Sünde sei, weil er vom Eigentlichen ablenkt. Jetzt schnörkelst du selber …«
Loos schaut ihn an, kneift die Lippen zusammen und klappt den Deckel hoch. Altenberg beugt sich so weit vor, daß er beinahe hineinfällt. Schönberg stemmt die Fäuste in die Seiten, als müßte er sich besseren Halt verschaffen.
»Wieviel?« fragt Schönberg. »Wieviel ungefähr?«
»Ich habe sie nicht gezählt«, sagt Loos, »aber tausend sind es mindestens.« Er zerrt Altenberg zurück, der bereits eines der ordentlich gebundenen Päckchen an sich gerissen hat. »Nimm die Finger weg. Du hast genügend davon in deinen Kästen und Kisten.«
»Aber nicht solche«, sagt er und blättert in den Fotos von den nackten, bestenfalls halbwüchsigen Mädchen in herausfordernd erotischen Posen.
Schönberg schaut angewidert. »Ich finde das ekelhaft. Und ich sage dir voraus, Loos, daß du noch jede |57| Menge Ärger bekommen wirst, wenn du das nicht wegschaffst. Ich habe eine Tochter, die ist jetzt fünf …«
Er starrt Altenberg von der Seite an. Dessen Mund ist geöffnet, die Nase schwitzt. »Und du da, du redest immer von der Unschuld, die du an den kleinen Mädchen liebst. Von dieser naturhaften Reinheit, die jeden unguten Gedanken verbiete. Du müßtest dich mal sehen …«
Loos möchte den Deckel schließen, doch damit würde er Altenberg köpfen. »Es sind auch Erwachsenenfotos dabei«, sagt er. »Männer und Frauen. Die liegen weiter unten.«
Mit verzerrtem Mund schaut Schönberg nach wie vor nur Altenberg an. Der spürt den Blick, richtet sich auf und verschränkt die Hände hinterm Rücken.
»So was sieht man halt nicht alle Tage. Außerdem« – er räuspert seinen Raucherschleim hoch und schluckt ihn – »finde ich die Fotos auch schlimm. Das ist ja fast, als
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