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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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verblüfft ist, daß einer wie er so etwas beherrscht, einen routinierten Handkuß und verschwindet.
    Ein paarmal sieht sie ihn noch stehen. Und kann nicht anders, als ihn zu beobachten. Nach vorn geneigt steht er da, als saugte er das Bild in sich hinein. Vor |52| allem jenes Bild, das einen Krankensaal im Irrenhaus zeigt mit dem kalten Weiß, das den Tod in sich trägt. Das Weiß der Krankenlager, der Wundverbände, der Leichentücher. Und in hartem Kontrast dazu ragt mitten im Bild ein schwarzes, galgengleiches Ofenrohr auf. Am längsten verharrt der Verrückte vor einem Selbstporträt van Goghs. Sie bemerkt, daß er seine Lippen bewegt. Was spricht er mit diesem Menschen im Bild, dessen Blick zu flackern scheint? Mit einem Geisteskranken, der sich verstümmelt und vernichtet hat. Der hätte sich auch noch im Paradies erschossen, soll Hevesi gesagt haben.
    Mathilde bemerkt nicht, daß sie nach einer Weile gar nicht mehr selber die Bilder betrachtet, sondern mit den Augen dieses angeblich irren Malers. Sie schaut ihm beim Schauen zu und sieht so, was er sieht.
    »Wir schließen in wenigen Minuten.« Der Gong ist unüberhörbar.
    Erschrocken stellt Mathilde fest, daß außer ihr und den beiden Galeriemitarbeitern, einer schlaksigen jungen Frau und einem kurzbeinigen Mann, niemand mehr zu sehen ist in den Räumen. Die Garderobiere ist schon heimgegangen. Mathildes Mantel hat sie über die Theke gelegt, so einen stiehlt keiner.
    Als sie ihn anziehen will, wird sie schlagartig nüchtern. Der Bilderrausch ist verschwunden. Und sie schämt sich erneut ihres Kleids, ihrer hausfraulichen Behäbigkeit. Fühlt sich dumpf und schäbig in dieser stilreinen Welt und hastet ins Freie. Auf der Straße erst knöpft sie sich ihren Mantel zu.
    »Frau Schönberg?«
    Sie wendet sich nicht um und schließt die Lider. Aber da ist er schon bei ihr. »Wie geht es Ihnen jetzt?«
    |53| »Anders als vorher.«
    »Mir auch«, sagt er. »Und wie ist dieses anders?«
    »Erschöpft«, seufzt sie. »Der Mann ist ja wahnsinnig anstrengend, diese Bilder – die glühen, das versengt einen richtig, und …«
    Der Maler starrt sie an, begierig, die Augen aufgerissen. Sie schweigt und knöpft. Er packt sie am Arm. »Weiter, reden Sie weiter …«
    Mathilde spürt Hitzewellen über ihren Körper laufen, von der Mitte nach oben und von der Mitte nach unten. Bestimmt ist sie jetzt rot geworden.
    »Wissen Sie«, fragt sie, um ihre Unsicherheit zu verbergen, »warum er sich erschossen hat?«
    »In der Galerie haben sie mir gesagt: geistige Umnachtung. Aber einer, der in der Nacht lebt, kann doch keine so hellen Bilder malen. Ich glaube das nicht.«
    Der Verrückte steht vor ihr, direkt vor ihr, so nah, daß sie den Geruch seines Mantels einatmet. Terpentin. Und Lavendelwasser.
    Ihr wird angst. Sie schaut um sich. Warum ist der Graben am frühen Abend so ausgestorben? Die Galerie wird zugeschlossen, die beiden Mitarbeiter verabschieden sich gerade voneinander und wandern ab in verschiedene Richtungen.
    »Aber jetzt sagen Sie mir mal: Wie finden Sie ihn denn?« fragt sie mit ihrer hellsten Stimme und versucht, ihn heiter unbefangen anzusehen. »Ich meine Sie als Malerkollege …«
    Er schaut zurück. Das leichte Schielen wird zur Zange: Sein Blick zwingt ihren in seinen. »Ich kann ihn nicht beurteilen«, sagt der Verrückte. »Er spiegelt sich in mir. Und wir haben dieselbe Temperatur.«
    »Was sagen Sie da?« Mathilde torkelt rückwärts, fällt |54| beinah hin, doch er fängt sie mit hartem Griff auf. Sein Gesicht ist ihrem nah. Es scheint heiß zu sein, obwohl es weiß ist, beinahe grau. »Das ist kein Grund, zu erschrecken.«
    Mathilde zittert. Er nimmt ihre Rechte. Sein Blick läßt ihren los. Wieder dieser routinierte Handkuß. Sie atmet auf.
    »Verzeihen Sie, Gnädigste«, flüstert er und rennt davon.
    Benommen macht sie sich auf den Weg nach Hause.
    »Wo warst du heute?« fragt Arnold am Abend. »Mizzi sagt, du seist aus gewesen. Und du wirkst so – ja, so verändert.«
    »Ach, Besorgungen«, sagt sie und liest Trudis Bauklötze auf.
    Es ist das erste Mal, daß sie ihn belügt.

    Wer durch diese Tür im fünften Stock tritt, verläßt die gewohnte Welt und betritt eine andere. Magisches Licht liegt auf polierten Edelhölzern. Sogar an diesem verhangenen Apriltag täuschen die lichtgelben Seidengardinen Sonne vor. Und dann dieses Schlafzimmer. Viele schöne Frauen täten nichts lieber als sich zu räkeln in diesem kühlen, hellen und doch frivolen

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