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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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Menschen immer derart?«
    Gerstl zieht sich einen Hocker heran und setzt sich zu seinem Lehrer. Er spricht leise, schaut dabei aber sein Gegenüber mit dem Ausdruck eines Besessenen an. »Weil das Leben zu kurz ist, um auch nur eine Minute mit irgendeiner Art Gefälligkeit zu vergeuden. Mein Leben jedenfalls. Ihres offenbar nicht.«
    Lefler schlägt die Beine übereinander und faltet die Hände über dem Silberknauf des Stocks. »Wie wollen Sie damit durchkommen, Gerstl? Sie sind, soviel ich weiß, mit dreizehn, vierzehn aus dem Piaristengymnasium geflogen, Sie haben unter den Mitstudenten keine Freunde außer diesem Hammer – und mit dem siezen Sie sich, wie ich gehört habe. Sie sind von meinem Kollegen Griepenkerl rausgeschmissen worden, und |67| früher oder später werden Sie sich mit mir anlegen, daß mir keine andere Wahl bleibt. Also: wie, bitte, wollen Sie damit durchkommen?«
    Gerstls volle Lippen gehen in die Breite. »Wo durch denn, Herr Professor?«
    Lefler lehnt sich im Sessel zurück und bemüht sich um jenen Ausdruck, den er für verständnisinnig hält.
    »Gerstl, Sie wollen doch auch nach oben.«
    Gerstl lacht mit unbewegten Augen. »Nein, ich will nach unten, ganz nach unten. Dorthin, wo unser Planet nichts als Glut ist.«
    Lefler legt seinen Stock auf den Beistelltisch.
    »Lieber Gerstl, ich gebe zu, Sie gehen ganz neue Wege. Das ist gut so. Aber lassen Sie doch zu, daß jemand Sie dabei begleitet. Und Ihnen ein bißchen die Richtung weist.«
    Gerstl ist aufgesprungen, geht mit großen Schritten durch sein Atelier, die Fäuste in den Hosentaschen. »Ein bißchen die Richtung weisen! Ein bißchen! Hören Sie nicht, was Sie da faseln?«
    Er faßt in einen Stapel an die Wand gelehnter Leinwände in Keilrahmen, zieht ein fast mannshohes Bild heraus, schleift es zu Lefler und dreht es um.
    Lefler stellt die Beine nebeneinander und zieht sein Monokel aus der Brusttasche.
    Ein Mann, halbnackt, von der Hüfte abwärts in ein weißes Laken gewickelt. Er steht frontal da, an den Pranger gestellt, die Arme hängen wehrlos herab, doch im Gesicht, in den engstehenden Augen, brennt eine Leidenschaft, die kein Halten kennt. Er steht da wie ein Märytrer. Rings um den mageren Körper leuchtet nächtliches Blau, ein Blau, das ihn bereits verklärt wie die Aureole den Heiligen.
    |68| Gerstl beugt sich von oben über den Rahmen: »Und? Gefällt es Ihnen?«
    »Ich … ich finde es erschreckend. Abstoßend sogar.«
    Gerstl strahlt. »Das freut mich. Dann habe ich mich ja gut getroffen. Aber verraten Sie mir doch: Was erschreckt Sie daran so?«
    Lefler verkriecht sich, so tief es geht, in seinen Sessel. Welcher Teufel hat ihn nur geritten, sich ausgerechnet um diesen Schüler zu bemühen. Das Bild bannt seinen Blick, aber es macht ihm angst.
    »Ein Bild muß mit dem Betrachter sprechen, Gerstl. Ein Porträt erst recht. Und dieses Machwerk hier ist stumm, fordernd … unausweichlich. Und bedrohlich.«
    Gerstl strahlt noch breiter. »Oh, ich danke, Herr Professor, ich danke Ihnen.«
    Lefler spürt, wie der Ärger in ihm hochkocht. »… und es ist unverschämt, Gerstl, absolut unverschämt. Glauben Sie bloß nicht, ich würde nicht erkennen, daß Sie sich hier darstellen, als wären Sie Christus persönlich. Auch ich kenne Bildtraditionen, nicht nur Sie Belesenheitsmonster.«
    Von seinem Schüler schauen nun nur noch die leicht schielenden Augen über den Bildrand. »Und?« spricht er undeutlich hinter der Leinwand. »Ist mir das verboten, weil mein Vater Jude ist? Vergessen Sie nicht: er hat sich mit über Siebzig taufen lassen. Lächerlich, was?«
    Gerstl atmet hörbar. Sein Gesicht zeigt er nicht, nur diese beklemmenden Augen. »Und ich bin, seit ich lebe, getauft. Als ich mich noch nicht dagegen wehren konnte, wurde ich angepaßt. Außerdem war Christus bekanntlich Jude.«
    Lefler ist aufgestanden. Gerstl stellt das Bild wieder |69| zu den anderen an die Wand und baut sich dem Lehrer gegenüber auf. Der muß den Kopf zurücklegen, um dem Schüler ins Gesicht zu sehen. »Sie sind vermessen. Sie sind arrogant. Und deswegen sind Sie völlig isoliert.« Er hört, daß seine Stimme wider seinen Willen scharf wird. »Sie sind kein Märtyrer. Sie sind ein ganz gewöhnlicher …«
    »Wenn ich es noch nicht bin, kann ich es werden. Ich habe das Zeug dazu, weil ich glühe, weil ich brennen kann. Sie nicht. Sie werden, lauwarm, wie Sie sind, mit Achtzig als Langweiler ins Grab sinken.«
    Lefler zieht durch die Nase den

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