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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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eingeladen zu sein und alleine zu Hause eine Nacht lang zu warten. Sie weiß, welche Erniedrigungen ihr Bruder durchlitten hat, weil er dieser Alma Schindler geradezu hörig war, die jetzt die Frau des Operndirektors Mahler ist. Und sie weiß, daß sie darüber schweigen muß wie über alles, was in ihr vorgeht. Sie weiß, daß Schwamm in der Mauer ist, auch wenn ihr Mann ihn nicht sieht, und daß die Küchenschaben einfach nicht auszurotten sind. Sie weiß, daß ihre Schwangerschaft schwer werden wird und ihre Nierenschwäche die Gefahr mit sich bringt, daß nur das Kind die Geburt überlebt, und weiß, daß sie auch das für sich behalten muß.
    Mathilde wischt mit einer Hand übers Gesicht, als wollte sie eine Tafel löschen. Im Flur hört sie eine Tür aufgehen, dann Arnolds Schritt. Wie ertappt hastet sie hinaus.
    »Da bist du ja endlich«, sagt er. »Wo hast du nur gesteckt?«
    Er trägt seinen braunen Anzug, den er für seinen besten hält, und die schmale braune Krawatte, die Loos ihm geschenkt hat. Und hat offenbar gute Laune. »Wir bräuchten dringend Kaffee. Ich werde gerade porträtiert …«
    »Ich weiß«, sagt Mathilde.
    »… von diesem Gerstl.«
    |73| »Ich weiß«, sagt Mathilde.
    »Er findet meine Musik großartig. Er geht in jedes meiner Konzerte.«
    »Ach ja?«
    Mathilde tappt unsicher in die Küche. Ihr ist schwindlig. Ihre Hände verrichten die gewohnten Handgriffe.
    Als sie das Tablett mit Kaffee, Zucker, Obers und Tassen ins Studierzimmer trägt, sieht sie Arnold auf der rotbezogenen Couch sitzen, eine Zigarette zwischen den Fingern, den dunklen Blick nach oben gerichtet. Nicht gerade eine dekorative Pose. Mit dem Rücken zu ihr steht er, ganz in Grau. Er schaut hinunter auf Schönberg und arbeitet mit sehr schnellen Bewegungen.
    Mathilde bleibt stehen. »Störe ich?«
    »Eine so wunderbar dunkelgrüne Stimme stört nie«, sagt er, nimmt den Pinsel zu der Palette in die linke Hand und wendet sich um.
    »Was?« fragt Mathilde. »Was sagen Sie da?«
    Er sieht sie an mit einem Lächeln, das in seinem schmalen Gesicht mit den schielenden Augen wie ein sanfter Akkord inmitten krachender Dissonanzen wirkt. »Das erkläre ich Ihnen wann anders«, sagt er.
    Verwirrt geht Mathilde zurück in die Küche. Dunkelgrün – was ist an ihrer Stimme dunkelgrün und wunderbar?
    Sie hantiert weiter, spürt aber, daß sie ungewohnt fahrig ist dabei.
    Als sie vom Backblech die Krusten kratzt, rutscht es ihr aus der Hand und scheppert auf die Fliesen.
    Schönberg stürmt in die Küche. Er ist aufgebracht, als hätte sie etwas Kostbares zerschlagen. »Nichts«, flüstert sie, »es ist nichts, gar nichts.«
    |74| Zur Zeit sind seine Nerven dünner denn je, und sie weiß auch, warum: Nachts schiebt sie ihn oft von sich, wenn er nach ihr greift und sich auf sie legen will mit seinem runden feuchten Körper, weil es auf einmal weh tut, wenn er in sie eindringt. Sie spricht es nicht mehr aus, denn als sie es einmal gesagt hat, meinte er nur: »Bei Trudi tat es nicht weh. Das ist die reine Hysterie.«
    Sie hat bereits das grüne Polster geputzt, das Trudi mit Erdbeeren zu einer Wiese dekoriert hatte, hat die abgerissenen Knöpfe von Trudis Kleid wieder angenäht und drei rechte Socken ihres Manns gestopft, der sie immer an derselben Stelle mit dem großen Zeh durchbohrt. Jetzt hat sie sich hingesetzt, um den Band mit Gedichten von Conrad Ferdinand Meyer durchzulesen, den Arnold ihr als Hausaufgabe in die Hand gedrückt hat. Sie solle ihn mal nach Texten durchforsten, die sich zur Vertonung eigneten.
    Da reißt er die Tür auf. Er begleite Gerstl noch ein Stück zu dessen Atelier Richtung Hohe Warte. Er brauche frische Luft.

    Sie ist im Sessel eingeschlafen, als sie ihn heimkommen hört. Schlaftrunken geht sie ihm entgegen. Flüchtig küßt er sie. Da ist sie hellwach. Er riecht nicht nach irgendeinem Kaffeehaus, auch nicht nach einer Wirtschaft, schon gar nicht nach Mahlers oder Schwarzwalds oder gar nach der frischen Luft auf der Hohen Warte. Er riecht nach einer Frau.
    »Dieser Gerstl«, murmelt er im Bett noch, »der würde dich gern mal mitnehmen ins Konzert. Wenn ich bei den Mahlers bin oder so.«
    Dann fällt er in Tiefschlaf.

    |75| Die Mainacht ist ungewöhnlich warm und vollmondhell. Eine Nacht, in der Schlafen Verschwendung wäre. Aber die Schwarzspanierstraße ist menschenleer. In einer solchen Nacht sitzen die Vernünftigen in den Schanigärten oder beim Heurigen, nur Sonderlinge wie diese beiden stehen auf

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