Wahnsinns Liebe
nämlich jede äußere Häßlichkeit auf.«
Zemlinskys Adamsapfel hüpft. »Meine Schwester sagt, sie hätten nicht viele Freunde.«
Gerstl klatscht mit dem langen groben Pinsel Farbe auf die Leinwand. »Wundert Sie das?«
Zemlinsky steht, so reglos er kann, auf seinen Spazierstock gestützt und sieht diesen Menschen an, den seine Schwester liebt und der ihm trotzdem vorkommt wie ein Bote kommenden Unheils. Wüßte ich nicht, wer er ist, geht es durch seinen Kopf, dann hätte ich Angst vor ihm. Ist es die Angriffslust des Malers, der so unvermittelt, aus sprühender Laune heraus zustechen und verletzen kann? Oder ist es schlicht, daß er über diesen Mann nichts weiß? Was macht ihm angst vor diesem Kerl? Vielleicht die Empfindung, der sei |146| außerstande, sich einzudenken oder gar einzufühlen in andere.
»Was Ihnen angst macht vor mir, ist das Unkontrollierte«, sagt Gerstl, ohne die Arbeit zu unterbrechen. »Ich sehe aus wie einer, der jederzeit ausrasten könnte. Eine Bombe zünden. Ein Haus in Brand setzen. Jemanden niederschlagen oder ins Wasser stoßen.«
Zemlinsky wankt und sucht Halt an seinem Stock, doch der Kies rutscht weg unter seinen Füßen. Er macht einen Schritt nach hinten, scharrt mit den Schuhen ein kleines Plateau und stellt sich wieder hin.
»Und?« fragt er mit schiefem Lächeln. »Ist da was dran?«
Gerstl malt weiter, als hätte er die Frage nicht gehört. Hinter dem Rücken des Malers sieht Zemlinsky Frauen mit hellen Hüten in geblümten Kleidern vorbeiwandern und Männer in lockeren Leinenjankern. Sie lachen zur Kleidung passend unbeschwert, als hätten sie mit der Sommergarderobe ein Sommerlachen vom Speicher geholt. Unübersehbar genießen sie ihre Verwandlung in leichtere Wesen, und es ist ihnen anzuhören, daß sie schon einiges an Bier oder gespritztem Weißwein getrunken haben und sich selber wundern, wie sie am hellen Nachmittag so kindisch lüstern sein können.
»Ich werde Ihnen«, sagt Gerstl und mischt einen dreckigen Ton neben dem Weiß und Gelb auf der Palette, »etwas über mich erzählen.«
Wieder geht er mit angespannten Muskeln auf das los, was ein Porträt werden soll. Zemlinsky sieht ihm beunruhigt zu. Warum malt der Kerl, als bräche die Farbe aus ihm heraus? Warum verschwendet er soviel Kraft auf einen Akt, den andere schweißfrei und besonnen |147| erledigen? Warum ist er so gewaltsam, sogar in der Art, wie er spricht?
»Es ist vor fünf Jahren passiert. Alle haben es gewußt, daß es so kommt, aber sie haben die Gefahr einfach von sich weggeschoben. Wie einen abgegessenen Teller.«
Zemlinsky steht still und verflucht jedes Geräusch, selbst das, das seine Füße verursachen.
»Es war ja in jeder Zeitung zu lesen.« Gerstl klingt atemlos. Was nicht verwundert, so wie er malt. »Aber Sie haben es offenbar auch ignoriert, was?«
Zemlinsky denkt an Mathilde. Wo steckt sie jetzt?
»Die Menschen auf Martinique, speziell die in Saint Pierre, waren gewarnt worden«, redet Gerstl weiter, erhitzt und naß. »Schon drei Tage davor hatte der völlig harmlose Mont Pelé Nacht für Nacht feurige Menetekel in den Himmel geschrieben. Als Neugierige nachsahen, entdeckten sie, daß unterhalb des Kraters die Vegetation abgeschürft war, und wie aus einer schwärenden Wunde quoll bröckelige Lava.«
Er kleckst dick Bleiweiß auf das Bild, wischt sich die Stirn mit dem Handrücken und redet so, als gehörte seine Rede zu dem, was er hier sieht und was hier geschieht. Und was er sagt, klingt, als läse er es in sich selber ab, als stünde es in ihm geschrieben. »Doch keines der Vorzeichen bewog die Menschen zur Flucht. Eine Zuckerrohrfabrik nördlich von Saint Pierre wurde von einer Invasion halbarmlanger schwarzer Tausendfüßler und gelblicher Ameisen überrannt, die sich im Blutrausch über die Pferde des Anwesens hermachten. In einem Stadtteil von Saint Pierre spuckte die Erde Schlangen aus, darunter die tödlich giftigen Lanzenottern. Am 7. Mai morgens röhrte der Berg wie ein |148| großes Tier, dann wirbelte aus den Schlünden des Pelé-Gipfels eine grauschwarze Wolke, Blitze zuckten, und heißer Ascheregen puderte die Straßen der Stadt wie für das eigene Leichenbegängnis. Die Tageszeitung benannte zwar die Gefahr, aber die anstehende Kommunalwahl war wichtiger. Am 8. Mai explodierte der Berg, der sich bis dahin nur geräuspert hatte. Glut quoll aus ihm hervor, über die dschungelgrünen Hänge bis zur Küste, zerkrümelte Saint Pierre, verdampfte Menschen und
Weitere Kostenlose Bücher