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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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jahrzehntelang zu verschweigen, daß Almas jüngere Schwester gar nicht ihre Schwester ist.«
    Er rückt seinen leeren Stuhl akkurat im rechten Winkel vor den Tisch, stützt sich von hinten auf die Lehne und schaut Moll ins Gesicht:
    |136| »Und abschließend eins, bester Moll: Man nimmt nur dann ein Bild wirklich auf, wenn man es bewundert. Sie bewundern meine Bilder nicht. Also lassen Sie die Finger davon.«
    Die Runde am Tisch bleibt reglos sitzen, bis das Gartentor ins Schloß scheppert. Jeder weiß, wohin Gerstl jetzt flieht.
    Die Zeit ist lang, bis Moll sich aufrichtet und räuspert. »Das geht nicht gut aus«, sagt er.

|137| Sie gibt sich harmlos, die ganze Stadt. Alle Fenster stehen offen, und jeder wähnt sich sicher. An so einem Tag kann nichts Schlimmes passieren.
    Schönberg hört bereits unten auf der Liechtensteinstraße, als er beim Greißler im Vorbeigehen eine Birne kauft, was seine Frau oben in der Wohnung treibt. Denn auch sie hat die Fenster geöffnet.
    Aber was ist mit ihr los? Ist sie krank? Wie kommt sie dazu, ausgerechnet jetzt, an einem solchen Tag, diese Lieder zu singen, diese herzzerreißenden Lieder, trauriger als alle anderen, die er kennt? Ihre Stimme ist nicht geschult, sie ist nicht einmal schön, aber von dieser durchdringenden Klarheit, die Knabenstimmen haben. Einer Klarheit, die manche schmerzt, weil sie voller Ahnungslosigkeit ist.
    Die Haustür steht auf, sie ist mit dem Haken eingehängt. Der Hausmeister läßt den Tag herein in das muffige Stiegenhaus, damit der für ihn durchputzt.
    Jetzt versteht Schönberg sogar die Worte, die Mathilde singt; er kennt sie ja zu Genüge.
    »Nun will die Sonn so hell aufgehn /Als sei kein Unglück die Nacht geschehn.«
    Wie üblich begleitet sie sich selber. Mit einer Selbstverständlichkeit, um die sie mancher Liedbegleiter beneiden würde. So als sänge sie eine zweite Stimme. Gut, denkt er, daß es außer mir und ihrem Bruder keiner weiß, sonst wäre sie schnell weggelobt.
    Sie kann nicht ahnen, daß er schon heute aus München |138| zurückkehrt; morgen erst wollte er mit dem letzten Zug heimfahren. Und offenbar hat sie nicht gehört, daß er in die Wohnung gekommen ist, denn sie singt und spielt weiter. Oder will sie nicht hören, daß er da ist?
    Als er ihr von hinten die Hand auf die Schulter legt, bricht sie mitten im Takt ab. »Ach, du bist es«, sagt sie, ohne sich umzudrehen.
    »Wen hast du denn erwartet?«
    »Niemanden«, sagt sie.
    »Und für wen singst du dann diese tristen Kindertotenlieder? Und vor allem: warum an einem so schönen Tag?«
    Sie dreht sich auf dem Klavierhocker zu ihm um. »Ich weiß es nicht. Aber ich finde sie nicht trist.«
    Mathilde steht auf und geht in die Küche, er hinter ihr drein. Wie auf einen unausgesprochenen Befehl fängt sie an zu kochen. Nimmt Kartoffeln aus dem Korb, wäscht sie, setzt Wasser auf, legt die Kartoffeln hinein. Und sagt, ohne ihn anzusehen. »Du hast mir immer erzählt, es sei ein wunderschöner Sommer gewesen, in dem Mahler die Lieder fertigkomponiert hat. Und daß diese Tage in Maiernigg – vor drei Jahren, oder? – die einzigen waren, die du erlebt hast, wo es im Hause Mahler mal rundum friedlich zuging.«
    Er lehnt am Küchenschrank und will in die Birne beißen, die er sich gerade unten gekauft hat, und entdeckt jetzt erst, daß sie verwurmt ist.
    »Die Birne ist schlecht«, sagt er.
    »Wie, schlecht? Hat sie eine Macke, oder ist der Wurm drin?«
    »Es ist der Wurm.«
    »Dann wirf sie weg.«
    Er dreht die Frucht in seiner Hand. »Du bist wie der |139| Mahler. Was gut ist, übersieht er. Bloß weil ein paar Idioten ihm seine Arbeit madig machen, hat er alles hingeschmissen. Will nach New York, an die Metropolitan Opera. Was will er denn dort?«
    Mathilde fängt an, die Lauchzwiebeln zu putzen.
    »Er hat doch recht. Es ist ja nicht so, daß hier nur ein paar gegen ihn sind. Das ganze Klima ist verdorben. Das wird nichts mehr. Wenn etwas nicht mehr zu retten ist, macht man sich mit Rettungsversuchen nur lächerlich.«
    Schönberg schaut sie von der Seite an. »Worauf beziehst du das?«
    Sie lächelt ihr unmerkliches Lächeln. »Auf Mahler natürlich. Und auf deine Birne.« Ihre Hände arbeiten weiter, schneiden die Lauchzwiebeln in feine Ringe, schälen eine Zwiebel, hacken sie, waschen die Petersilie, schneiden sie klein, schälen dann die gekochten Kartoffeln und zerdrücken sie mit der Gabel und rühren Topfen und Sauerrahm darunter. Es riecht frisch und weich. So, als

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