Wahnsinns Liebe
neben den Maler.
»Man kennt mich«, sagt Prillinger. »Das ist recht. Man kennt mich sogar sehr gut. Jeder kennt mich da drauf.«
»Ich wußte, daß das Bild nichts taugt«, sagt Gerstl.
»Was?«
»Nehmen Sie es mit, bevor ich es vernichte. Aber Vorsicht, es ist noch naß.«
Prillinger ist keine zehn Minuten aus der Tür, als Mathilde angelaufen kommt. Er schließt die Tür, bevor er sie küßt. Und spürt im Küssen, daß sie lacht. »Stell dir vor, mein Mann will jetzt Maler werden. Arnold und Malen! Hast du jemals gesehen, wie er kritzelt und pinselt? «
Gerstl hält Mathilde von sich. »Lästere nicht. Daß er malen will, ist doch gut. Du weißt, ich bin der Ansicht, daß jeder Mensch …«
»Jaja, ich weiß«, stöhnt sie. »Du hast da so einen pädagogischen Eros. Und der kommt mir verdächtig bekannt vor.«
Gerstl rüttelt sie. »Was redest du da, Mathilde? Sag |155| so was nicht. Das hat mit diesem messianischen Theater, das Schönberg aufführt, nichts zu tun. Absolut gar nichts.«
Mathilde sieht ihn an mit schiefem Mund. »Ach, wie konnte ich das vergessen, daß ihr gar nichts miteinander zu tun habt. In keiner Hinsicht. Frei von Neid, Mißgunst und männlichem Wetteifern … Aber vielleicht solltest du dich schon mal fragen, warum er ausgerechnet von dir Malunterricht haben will.«
Gerstl legt müde seine Arme um ihren Nacken. »Du hast ja recht. Wir verbeißen uns ineinander. Und ahnen, daß wir uns damit zerfleischen. Also, was meinst du? Was steckt dahinter? Was hat er im Sinn?«
Er fängt an, die kleinen stoffbezogenen runden Knöpfe zu öffnen, mit denen Mathildes Kleid verschlossen ist. Ungeschickt versucht er, sie durch die Stoffschlaufen zu drücken.
»Laß«, sagt Mathilde, schließt die Augen und fängt an, selber ihr Kleid aufzuknöpfen. »Malen will er, weil er eine Schaffenskrise hat. Und warum er ausgerechnet bei dir lernen will? Vielleicht weil er dich damit irgendwie in die Pflicht nimmt –«
Sie läßt die Arme fallen und steht mit geschlossenen Lidern abwartend da. Unter dem Kleid trägt sie gar nichts.
»Bist du so durch die Gegend gelaufen? Bist du verrückt? Du kannst doch nicht …«
Mathilde schweigt und steht da, ohne sich zu rühren. Er holt ihre Brüste heraus und betrachtet sie. »Ich kann nicht mehr sein Freund sein. Nie mehr.« Er geht in die Knie und zieht ihr Kleid über die Hüften nach unten.
Sie hat immer noch die Augen geschlossen und denkt |156| daran, daß ihr Mann sie nie ganz nackt ausgezogen hat. Nur gerade so weit, daß er drankam.
Als Gerstl mit der linken Hand von unten ihre Schenkelinnenseiten entlangfährt, flüstert sie: »Was hast du heute mit Alex geredet, als ich kam?«
Seine Hand ist oben angelangt. »Wie es weitergeht«, sagt er.
»Sie muß nackt sein, verstanden? Ganz nackt.« Schönberg redet nicht laut, aber eindringlich. Obwohl er nur ein Leinenhemd trägt, ist er schweißnaß. »Wenn sie es nicht ist, ist sie verlogen. Wahre Musik ist nackt – sie schmückt sich nicht, sie dekoriert sich nicht.«
Die jungen Männer um ihn her sind still und zum Verdruß des Wirts auch enthaltsam.
Zemlinsky und Altenberg sitzen abseits über ihrem Bier, beide hängen bewußtlos geschlagen von der Schwüle in den Wirtshausstühlen im Schatten der Kastanienbäume. Trotzdem verstehen sie jedes Wort.
»Ich liebe sie sehr«, hören sie Schönberg sagen, »aber ich kann sie nicht halten. Ich mußte ihr untreu werden, auch wenn ich weiß, daß ich damit alle Sympathien verliere. ›Sie ist wunderbar‹, sagen die meisten. ›Sie ist überaltert‹, sage ich. Die sture Ordnung der Tonalität …«
Altenberg schaut mit runzligem Kinn zu Schönberg und seinen Jüngern hinüber. »Sag mir eins, Alex, warum redet er immer über Musik wie über eine Frau? Das ist ja penetrant. Ein glitschiges Klischee – und das aus seinem Mund.«
|157| Zemlinsky lächelt müde. »Leider trifft es bei ihm zu. Die Musik ist seine Frau, auch wenn die meisten meinen, Mathilde sei es. Aber was erregt ihn schon? Komponieren. Was macht ihn fertig? Wenn er nicht kann, wenn er musikalisch nicht potent ist. Und was trifft ihn? Wenn über sie schlecht geredet wird – nicht über Mathilde, über seine Musik.«
Er schüttet den Rest seines Biers hinunter wie eine bittere Medizin, von der man sich Hilfe verspricht.
Altenberg seufzt. »Eigentlich bin ich heute hierhergefahren wegen der Ruhe. Dabei müßt ich es ja wissen, daß eine Idylle wie die hier die wahre Hölle ist. In so
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