Wahnsinns Liebe
dreizehn.«
»Du spinnst«, sagt Zemlinsky. »Du rechnest dir einfach deine fixen Ideen zurecht. Zähle die 19 dazu und schon ist der Tag harmlos.« Er raucht schnell und wortlos.
Mathilde kommt herein und überhört das angespannte Schweigen. An einem Tag wie diesem würde sie gerne einen Spaziergang machen, sagt sie, vielleicht sogar einen Ausflug auf den Kahlenberg, irgendwohin, wo es nach Sommer riecht, nach frisch gemähten Wiesen. »Den Görgi trag ich leicht.«
»Und was ist mit Trudi?« Schönberg klingt scharf.
»Die kommt nicht vor sieben heim.«
»Weißt du das sicher?«
Mathilde schaut ihn an. »Ach Arnold, die Mannheimers haben es gesagt. Und was wissen wir schon sicher? Was die Kinder angeht, ist dein ansonsten bewundernswertes Wissen sowieso eher spärlich.«
|143| Schönberg atmet schwer durch und richtet sich auf. »Mein Gott, Mathilde, warum rennst du immer wieder gegen diese Wand.« Er räuspert sich. »Ich bin nun mal dazu da …«
»… das, was ganz einfach und unkompliziert schön ist, zu vermeiden«, sagt Mathilde.
»Warum fällst du mir neuerdings immer ins Wort?« Schönberg sieht kaltschweißig aus.
Mathilde redet zu Hemd und Knopf. »Du hast ja recht. Wozu sollen wir uns einen banalen, schönen Tag im Freien machen, wenn du hier an deiner Unsterblichkeit arbeiten kannst.«
Zemlinsky legt seine fünfte Kippe auf den winzigen Teller, den er unter dem Salzstreuer herausgezogen hatte. »Berg hat sich angeblich bis über beide Ohren verliebt.«
»Wie schön«, sagt Mathilde und geht an ihren Nähkasten. »Wurde ja auch Zeit.«
Schönberg stiehlt Zemlinsky eine Zigarette und schnaubt den ersten Zug erleichtert von sich. »Und wer ist die Glückliche?«
Mathilde hat sich wieder an den Tisch gesetzt, fädelt weißes Garn ein und fängt an, einen Knopf an ein Hemd zu nähen. »Warum nennst du sie glücklich? Weil Berg begabt ist?« Sie lacht, aber es klingt wie Husten.
Die Stille klemmt. Zemlinsky drückt im Aufstehen seine gerade erst angerauchte Zigarette aus. »Ich glaube, es wird Zeit für unseren Traunsee. Ich könnte auch mitkommen, ich mein nur, wenn …«
Mathilde näht. Schönberg gähnt. »Längst gebucht. Alle dabei.«
Zemlinsky dreht sich im Hinausgehen noch einmal um. »Was heißt alle?«
|144| »Na ja, Jalowetz, Berg, Webern, Krüger, Horwitz, die junge …«
»Und mit wem redet dann deine Frau, während du vor den Augen deiner Jünger über die Wasser des Traunsees wandelst?«
Schönberg schaut auf den gebeugten Kopf von Mathilde. »Sie kann ja diesen räudigen Maler mitnehmen, der ihr so gern die Hand schleckt. Mit seiner Pinslerei kann ich zwar wenig anfangen, obwohl er ganz gut meine malerischen Talente rausholt. Aber von Musik, da versteht er was.«
»Er verehrt dich«, sagt Zemlinsky.
»Ich weiß«, sagt Schönberg, stemmt sich am Tisch hoch und geht neben Zemlinsky zur Tür.
»Fällt dir eigentlich auf«, sagt der, die Klinke in der Hand, »wie oft wir alle sagen: ›Ich weiß‹?«
Die ganze Nacht über bis weit in den Morgen hinein hat es geregnet. Jetzt sind die Wolken aufgerissen, und die Augustsonne brennt herunter. Innerhalb einer Stunde dampft die Erde.
Der Geruch der Landestege nach frischem Fisch und nach Holz, erfüllt den Mittag. Der See ist gleißend hell. Für das, was geplant ist, eine ungeeignete Situation.
»Was soll das? Was haben Sie mit mir vor?«
Zemlinsky steht mit dem Rücken zum See im Uferkies und versucht so ruhig wie möglich den unrasierten großen Kerl anzusehen, der vor ihm steht mit zusammengekniffenen Lidern.
Seine Zigarette hat Zemlinsky längst ausgedrückt, |145| doch sein Gesicht raucht weiter. Die Lippen sind gekräuselt, der Blick ist umwölkt, die Haut ist grau. Wie ein Sommergast sieht er nicht aus; der weiße Leinenanzug und der Strohhut wirken wie eine unpassende Verkleidung. Ihm ist seine Verwirrung anzusehen: Warum will dieser Gerstl ausgerechnet ihn porträtieren? Und nicht mal Geld dafür nehmen? Was soll an ihm denn sehenswert sein? Daß Alma, Liebe und Pest seines Lebens, ihn als einen häßlichen Gnom bezeichnet hat, wird er nie mehr aus seinem Kopf ausmisten können. Und er sieht es ja selber jeden Tag, daß sein Kakadugesicht nicht wie das eines Mannes von Mitte Dreißig ausschaut.
Die Wasseroberfläche glitzert und blendet. Es schmerzt, wendet man den Blick nicht ab.
»Sie können mich gar nicht scharf sehen«, sagt Zemlinsky.
»Will ich auch gar nicht«, sagt Gerstl. »In diesem Licht löst sich
Weitere Kostenlose Bücher