Wahnsinns Liebe
deine ehemalige Gattin sich jetzt als Diseuse Lina Vetter nennt.«
Er wirkt aufreizend gutgelaunt. Loos streicht seine neuerdings nackte lange Oberlippe. Und Friedell scheint von allem nichts wahrzunehmen. »Ich verstehe gar nicht«, sagt er, »daß sie sich dem Ganzen noch mal aussetzt, so wie fast alle über sie hergefallen sind.« Er zieht ein zusammengefaltetes Stück Papier aus der Jacketttasche und öffnet es nervös. »Nur der widerliche Eindruck perverser Lasterhaftigkeit bleibt«, liest er mit belegter Stimme, »wenn ein blondes junges Mädchen mit treuherzigen Augen Geschichten erzählt, die in schmutzigen Prostituiertenpointen enden.« Friedell knüllt die Zeitungsseite zusammen, wirft sie auf den Boden und stampft drauf. »Ekelhaft diese, diese impotenten …«
»Ach, hab doch Verständnis für diese armen Kritiker, die nicht randürfen an Lina«, sagt Loos im Ton eines Weihnachtspredigers. »Du hörst sie doch sabbern, diese armen Kerle. Sie beherrschen eben nicht Peters bewährte Methode, als alter Mann die jungen Frauen mit Worten derart anzumachen, daß sie sein und ihr Alter vergessen. Und sein Aussehen noch dazu.«
Altenbergs verwittertes Gesicht schaut zufrieden aus dem Mantel: »Ach, Loos, als ob das Alter eine |161| Rolle spielen würde in der Liebe. Du magst es ja auch ahnungslos und unverdorben. Und unser guter Mahler und dieser wahnsinnige Gerstl mögen es lieber ein bißchen abgelebt und leidgeprüft. Und noch etwas: Wenn einem die Worte fehlen, klappt die Methode nicht, mein Guter.« Sein verklebter Schnurrbart berichtet von den letzten Genüssen des Tages oder auch der Nacht. Seine Lider sind verquollen, seine großporige Haut ist fleckig. Trotzdem ist daran, wie die beiden anderen ihn ansehen, abzulesen: Es treibt sie um, wie dieser Mann die Frauen betören kann.
»Na ja, wir können uns ja bei dir bedienen, Altenberg. ›Hechtgraue Augen‹ – das kommt einfach immer gut an.« Nun greift Loos in seine Jackettasche, um etwas herauszuziehen, was länger dauert als bei Friedell, weil das Jackett perfekt sitzt.
»›Lina Vetter trägt mit Walzerbegleitung das Kabarettlied von Peter Altenberg vor. In einer originellen weißseidenen Toilette mit durchgezogenen orangefarbenen Bändern bringt sie mit ihrem berückenden Gesicht und den hechtgrauen großen Augen die Stimmung einer ungezogenen Kokotte, die glaubt, das Leben sei zum Tändeln vorhanden und zum Aufreizen von unglücklichen Trotteln, fast genial zum Ausdruck.‹« Loos sieht Friedell mit hochgezogenen Brauen an und schlägt mit dem Handrücken auf den Ausriß. »Siehst du, so geht es. So schreibt sich unser guter Peter mit seinen Prostituiertenpointen ins Herz der Diseuse. Selbst wenn er selber zu den unglücklichen Trotteln gehört – hechtgraue Augen, das funktioniert immer.«
Altenberg hat sich in seinen Mantel zurückgezogen. »Wenn sie welche hat«, kommt es kaum verstehbar. »Sonst weniger.«
|162| »Was war das? Sag das noch mal.« Loos beugt sich zu Altenberg hinüber und hält die Hand hinters Ohr.
Altenberg wirkt auf einmal erschöpft. Wie aus dem Schlaf heraus brabbelt er mit fast geschlossenen Lidern: »Aufmerksam sein und Zeit haben. Damit und nur damit erobert man die Frauen. Wenn das einem Mann zu mühsam ist, verprellt er sie eben – und muß damit leben, daß ein aufmerksamer Geschlechtsgenosse ihm die Frau wegnimmt. Der Kitzler braucht länger zum Stehen als der Schwanz, das weiß jede Gans.« Er sitzt noch immer da, als schliefe er. »Ihr wißt, daß der Schönberg neuerdings malt.«
Loos und Friedell schütteln den Kopf.
»Ich wußte gar nicht, daß er das kann«, sagt Loos.
»Das habe ich auch nicht behauptet«, kommt es aus dem Mantel.
»Ja, aber wie gut ist es denn, was er macht?«
Altenberg schweigt kurz. Und meint dann, Erklärungen zu Schönbergs malerischem Œuvre könne er nur abgeben, wenn irgend jemand Champagner ausgebe. Das sei ohnehin angemessen, wenn gleich Lina, der Star des Abends, hier auftauche.
Loos winkt dem Kellner.
Erst als der Korken schmatzt, hebt Altenberg die Lider etwas an. »Er lobt die eigenen Werke dauernd«, sagt er. »Vor jedem erklärt er, wie genial und umwälzend neu seine Bilder seien.«
»Klingt einwandfrei nach Mittelmaß«, sagt Loos und schaut schmerzerfüllt. »Also, das kann und will ich nicht glauben. Schönberg mittelmäßig! Sag mir lieber, daß er richtig säuisch schlecht malt, bitte.«
»Damit kann ich dienen«, grinst Altenberg.
»Gut, aber was hat
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