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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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einem schönen Klima, da schießen die Ehekrisen ja erst richtig ins Kraut. Ach ja, gibt es hier beim Hoisn noch diesen anbetungswürdigen Krautsalat?«
    Vom Gasthaus her weht es den Geruch von Bratkartoffeln, Semmelbröseln in Butter und gerösteten Zwiebeln in den Garten.
    Zemlinsky schließt die Augen und atmet tief ein. »Es könnte ja so friedlich sein«, sagt er. »Nur Familie und Freunde zusammen in einer netten, preiswerten Sommerfrische. Aber …«
    »Aha, der Gerstl ist also auch da?« fragt Altenberg.
    Zemlinsky hat sich aufgesetzt, die Bedienung in ihren flachen knöchelhohen Sandalenstiefeln tritt an den Tisch. Sie ist bestenfalls fünfzehn und hat Augen, die aussehen wie der Traunsee im Winter. Ihre kleinen Brüste zeichnen sich wie Makronen unter der dünnen Bluse ab. Auch wenn ihr geblümter Rock bis zur Wadenmitte reicht, weiß jeder, wie ihre Beine aussehen, daß sie oben nicht ganz schließen und daß die Kniescheiben noch viel zu groß sind. Altenberg legt im Sitzen den Arm um ihre Oberschenkel und wendet ihr |158| von unten sein Gesicht zu. Andächtig blickt er zu ihr auf. »Mein Gott, was ist es affig, wie wir uns um Unsterblichkeit rangeln. Das ist unsterblich, was hier in diesem Mädchenleib steckt, was in diesen hechtgrauen Augen liegt. Das ist der Abglanz des Himmels …«
    »Was will der Herr?« fragt das Mädchen erschrocken.
    »Ich will nur …«, sagt Altenberg mit schwimmendem Blick.
    »Er will nur einen Krautsalat«, sagt Zemlinsky. »Und ich hätte gern ein Backhendl.«
    Das Mädchen rennt davon, als würde es verfolgt.
    »Ich habe«, klingt Schönbergs Stimme herüber, »der Liebe besonderen Raum gewidmet, mehr als allem anderen. Denn nur in Liebesszenen …«
    »Was redet er da?« sagt Altenberg, der Zemlinsky den Rücken zuwendet und den Kies betrachtet, auf dem das Mädchen floh.
    »Er ist gerade bei ›Pelleas und Melisande‹. Er erklärt seinen Schülern den Aufbau von …«
    »Also was ist mit Gerstl?« Altenberg schaut immer noch den Kies an.
    »Ja, er ist da«, sagt Zemlinsky. »Aber er wohnt ein ganzes Stück weiter nördlich, am Grünberg. Da gehst du von hier aus schon eine dreiviertel Stunde hin. Schönbergs und ich sind ja wieder hier beim Hoisn einquartiert.«
    »Ich habe schon gesehen, daß Mathilde viel sportlicher aussieht«, sagt Altenberg und dreht sich zurück.
    Zemlinsky sieht ihn über den oberen Brillenrand hinweg an. »Du kannst zwar nicht mal Wasser kochen, aber in der Gerüchteküche bist du leider ein Meister.«
    Altenberg beugt sich vor, schlüpft aus den Sandalen, zieht die Socken aus und dann die Sandalen wieder an.
    |159| »Es geht hier nicht um Gerüchte«, sagt er und betrachtet seine Füße. »Es geht hier um eine Tragödie, mein Guter. Aber offenbar sieht das nur ein Trottel wie der Altenberg.«

    Das Geräusch von hölzernen Stuhlbeinen auf Fliesen. Das Raunen befreit sich in Lärm. Die Vorstellung ist vorbei. Aber die Gäste des Cabaret Fledermaus bleiben alle an ihren Tischen sitzen und erfüllen es mit ihrer Empörung und Begeisterung. Qualm und Essensdunst machen sich breit ohne Rücksicht auf die Schönheit des weißen, weißmöblierten Saals und der schwarzweißen, weiß bezogenen Sessel. Wie riesige Insekten im Nebel hocken die handgetriebenen Messinglampen an den Wänden. Zwar hat die Presse das neue Etablissement als »Gesamtkunstwerk der Wiener Werkstätten« gepriesen, wo von der Decke bis zu den Messern und Aschenbechern alles aus einem Guß sei. Aber jetzt scheint es an Interesse für Kunstbetrachtung zu fehlen. »Selber schuld«, sagt Loos und sieht erfreut in die grauen Wolken, »sie haben zwar mein weißes Schlafzimmer für Lina abgekupfert, aber nicht daran gedacht, daß hier die Verunreinigungen nicht weißlich sind. Jetzt wird eben alles mit Banalität verdreckt, wie zu erwarten.«
    »Das interessiert allerdings keinen«, sagt Friedell. »Auch wenn es dich schmerzt, lieber Loos: Den Leuten ist die Ästhetik sofort egal, wenn es um Sex geht.«
    Und es war um wenig anderes gegangen in den letzten zwei Stunden.
    |160| Altenberg rutscht, fast ohne die Sandalen von den Fliesen zu heben, an den Tisch und läßt sich auf den freien Stuhl fallen. »Sie schminkt sich nur ab, zieht sich um und kommt dann zu uns«, meldet er.
    »Sprichst du als Agent ohne Auftrag oder als Liebhaber ohne Zulassung?« fragt Loos.
    »Du schuldest mir noch Geld«, sagt Altenberg. »Und du solltest nicht mir ans Bein pissen, wenn du dich darüber ärgerst, daß

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