Wahnsinns Liebe
Minderjährigen gevögelt hat. Mit achtjährigen Blumenverkäuferinnen, |166| die irgendeine Bordellmutter angelockt hat. Und nachher hat er behauptet, die hätten wie siebzehn ausgeschaut. Und Sie, Sie wissen auch ganz genau, daß es obszön ist, was Sie planen. Egal, wie Sie sich hinterher herausreden.«
Lefler hat die Hände in der Mitte der Weste gefaltet. »Gerstl, Sie vergreifen sich wie üblich. In allem. Im Ton, im Vergleich, in der Sprache. Es geht um eine Ehrung unsres Kaisers, nicht um eine Bordellangelegenheit.«
Gerstl hat die langen Beine weit von sich gestreckt und läßt die Arme hängen. Er weiß, daß er unflätig ausschaut. »Doch, Sie huren herum mit den Mächtigen, weil Sie das aufgeilt, und wollen nachher nicht gewußt haben, was dabei passiert ist. Dieser Jubiläumsfestzug wird doch keine harmlose Kostümklamotte – das ist eine Geschmacklosigkeit übelster Sorte. Der Adel führt sich selber vor, und der Rest wird vorgeführt, wie im Zoo. Wenn Sie dabei mitmachen, können Sie genausogut Achtjährige schänden und behaupten, das sei ein künstlerischer Akt gewesen. Der Freispruch ist einem wie Ihnen ja ohnehin sicher.«
Lefler legt die Fingerspitzen seiner Hände aneinander und senkt sein Kinn. Er spricht, so tief er kann. »Gerstl, Ihnen ist doch bekannt, daß beim letzten Umzug unser großer Kollege Makart persönlich für das Kaiserpaar gearbeitet hat, Kostüme entworfen, lebende Bilder erdacht und …«
Gerstl ist aufgesprungen und steht mit eingestemmten Händen vor seinem Lehrer. »Aber jetzt? Jetzt hat nicht mal der Kaiser selber Lust auf diesen Schwachsinn. Der Mann hat vielleicht nicht viel, aber immerhin Instinkt dafür, womit er sich völlig unbeliebt machen |167| würde. Wenn diese ausstaffierten Lackaffen an Häusern vorbeimarschieren, wo je neun Menschen in einem schimmligen, verwanzten Zimmer versuchen, vom Kohlgestank satt zu werden.« Gerstl atmet tief durch, was nichts bringt. »Und daß Sie sich an dieser monströsen Entgleisung beteiligen!«
Behutsam nimmt Lefler den Zwicker von seinem Nasenrücken und legt ihn auf die Sessellehne. »Es ist ja noch nicht einmal sicher, ob der Umzug stattfindet. Was soll Ihre Entrüstung? Sinnlose Kraftverschwendung, lieber Gerstl, absolut sinnlose Kraftverschwendung. Wie so vieles in Ihrer ungeordneten Existenz.«
Noch immer hängt Gerstl, den Kopf wie ein Lebloser nach hinten gekippt, im Sessel, den starren Blick an die Decke gerichtet. »Daß Sie es vorhaben, das genügt mir. In Ihnen gähnt ein moralisches Vakuum, und das widert mich an.«
Lefler klemmt sich den Zwicker wieder auf die Nase und steht auf. Mit fünf, sechs kurzen leisen Schritten ist er bei der Staffelei und tritt vor die Leinwand, die er bis jetzt nur von hinten gesehen hat. Gerstl hebt den Kopf und richtet sich im Sessel auf. »Was machen Sie da? Dieses Bild geht Sie einen Dreck an.«
»Ich bin Ihr Lehrer – noch bin ich Ihr Lehrer«, sagt Lefler. »Und was ich hier sehe, ist wieder mal ein Beispiel Ihrer vergeudeten Energie. Jaja, ich merke es schon, es ist ja unübersehbar: eine Polemik gegen Klimt. Eine Dame mit deprimiertem Gesicht in einer Orgie von Punkten. Mein Gott, es ist rührend: Sie wollen damit allen Ernstes seine dekorativen Frauenporträts verhöhnen.«
Gerstl läßt den Kopf wieder nach hinten über die Lehne fallen. »Interessant, daß Sie das so sehen. Aber |168| darum ging’s mir nicht. Ich wollte die Frau so wiedergeben, wie sie hier ankam: müde, ausgelaugt, traurig, benutzt. Ich wollte ihr gleichgültiges Fleisch malen, ihre –«
Lefler betrachtet das Bild aus nächster Nähe. Beinahe berührt er es. »Aber gegen diese Gleichgültigkeit haben Sie ja sicher etwas unternommen, Sie jugendlicher Hüter der Moral.«
Schon hat ihn Gerstl am Revers gepackt. »Mischen Sie sich nicht in meine Privatangelegenheiten ein.« Er sieht seine Hände, und ihm wird schlagartig bewußt, daß er dabei ist, seinen Professor tätlich anzugreifen. Wie zwei Stücke Fleisch läßt er die Hände fallen.
»Man sieht es Frau Schönberg an«, sagt Lefler in das Porträt hinein, »daß sie von Ihnen als ein Opfer betrachtet wird. Als eine bemitleidenswerte Person, die nie an sich selber denkt, die gar nicht an sich selber denken kann.«
Er geht zurück zu seinem Sessel und setzt sich wieder. Gerstl greift von einem Regalbrett eine Flasche Slivowitz, gießt ihn in zwei Wassergläser und streckt Lefler eins entgegen.
Lefler nippt. »Aber vielleicht sollten Sie das
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