Wahnsinns Liebe
darf man sie gar nicht, oder? Für so niedere Gelüste kauft man sich dann ein Mädel.«
Die Gäste verstummen. Sie sind froh, daß sie nun in den Musiksalon gebeten werden, einen Raum in Kalkweiß, Grau und der Farbe von Herbstzeitlosen. Selbstverständlich wiederholen sich genau diese Farben in einem Fries aus Gips am oberen Ende der Wand, auf dem sieben bleiche dünne Mädchen mit frommem Blick und wollüstigen Lippen zu sehen sind. Der Stutzflügel, der darunter steht, ist weiß und verziert mit goldenen Ornamenten.
»Wer von euch spielt denn darauf?« Altenberg legt seine Hände auf den weißen Flügeldeckel, was die Hausherrin beunruhigt zur Kenntnis nimmt. »Er ist eher für – talentierte Gäste da«, sagt sie.
»Das«, sagt Altenberg, »ist der Höhepunkt der Schmockerei, aber das paßt natürlich. Perfekt paßt es.« Er bedient sich von den Pralinen aus der großen intarsierten Holzschachtel auf dem Instrument, die es mit aller Eleganz verbietet, den Deckel des Flügels aufzustellen. »Allmählich sehne ich mich nach dieser Schlangengrube dort drüben.«
Die übrigen Gäste wenden Altenberg den Rücken zu. Nur Waerndorfer bleibt an seiner Seite.
»Dieser Gerstl – Richard Gerstl, oder? –, kann der was? Stellt nie aus und verkauft offenbar auch nichts.«
Altenberg gräbt in den tieferen Schichten der Pralinenschachtel, |175| erklärt mit vollem Mund, er sei wählerisch und liebe bei Frauen, Birnen und Pralinen immer nur eine bestimmte Sorte. Er reibt sich die Finger an seinem heraushängenden Taschentuch ab und sagt kauend: »Der will nicht. Der hat keine Lust.«
Waerndorfer packt Altenberg am Ärmel. »Aber verkauft er denn gar nichts an private Sammler?«
Altenberg hat die Pralinenschachtel geschlossen und die Schatulle aus Birkenholz daneben geöffnet, aus der er sich zwei Havannas nimmt, die er beide in die Brusttasche seiner Strickweste steckt. Dann öffnet er den Kasten nochmals, holt eine dritte heraus und steckt sie neben die anderen. Er schulde seinem Friseur noch etwas, murmelt er. Waerndorfer schaut ihm zu wie einem Kind, das Theater spielt. Seine Frau hat den Vorhang geöffnet, der den Musiksalon vom Eßzimmer trennt, und die anderen Gäste hinüberdirigiert. Keiner von ihnen wundert sich, daß auch dort wieder blasse Mädchen in langen Gewändern warten, diesmal auf Gobelins verewigt, die Kleidersäume verziert mit bonbongroßen Halbedelsteinen, Amethysten, Mondsteinen, Topasen.
Altenberg macht sich daran, im Musiksalon die Champagnerreste aus vier, fünf Gläsern auszutrinken, was ihn jedoch keineswegs ablenkt vom Gespräch. »Du mußt wissen, dieser Gerstl faselt dauernd davon, daß alles sich spiegelt. Schicksale, Geschichten, Ereignisse, Katastrophen, alles.«
Waerndorfers reißt seine dunklen Augen auf. Es steht Beklemmung darin. »Was ist das denn für eine Theorie?«
Altenberg zuckt die Achseln. »So dumm ist das gar nicht. Würde erklären, warum uns ständig irgendein |176| angeblich neuer Skandal altbekannt vorkommt. Er selber bildet sich ein, er sei ein Wiedergänger oder so was Ähnliches von van Gogh – der verrückte Franzose, Galerie Miethke, du weißt. Und der hat angeblich nie etwas verkauft.«
Waerndorfer versucht, nun auch Altenberg in Richtung Eßzimmer zu manövrieren. »Gut, aber der war ja wahnsinnig, heißt es. Ein vernünftiger gesunder Mensch …«
»Und? Was heißt schon Wahnsinn?« Die beiden stehen in der Türöffnung. Altenberg betrachtet paffend den Raum und die Tischgesellschaft. Jeder der Gäste, die hier sitzen, ist gekleidet, als wollte er sofort als Solist auftreten. »Die Irrenärzte sagen: Wenn ein Mensch wahnsinnig wird, reißt er sich die Kleider vom Leib. Für mich heißt das, er will zurück zu seinem Ursprung. Er will wieder werden wie ein Tier. Das ist doch eigentlich vernünftig, was?«
Waerndorfer zieht für Altenberg einen der hochlehningen schwarzen Stühle zurück. Altenberg läßt sich aufatmend fallen.
»Dieser Gerstl, von dem Sie vorher geredet haben«, sagt Frau Waerndorfer, »in welchen Kreisen verkehrt der eigentlich?«
»Das ist einer, der verkehrt nicht in Kreisen, nur mit wenigen Menschen«, sagt Altenberg und fängt an, hungrig die rosig schimmernden Markstücke aus seiner Rindssuppe zu löffeln. »Mit sehr wenigen Menschen. Er hat eben einen guten Geschmack.«
Eine Dame in weit fallendem Reformkleid am oberen Tischende reckt den Hals. »Dafür verkehrt er mit denen dann sehr intensiv, habe ich gehört. Um nicht zu
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