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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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Milchfleisch Dutzende von Männern wahnsinnig machen, abkassieren und dabei auch noch Jungfrau bleiben.«
    »Da bin ich andrer Ansicht«, sagt die Billardkugel. »Für mich sind Ehefrauen schlimmer, die sich mit einem jungen gestörten Extremisten einlassen, nur weil sie endlich mal einer begehrt. Die Frauen haben doch |180| keinen Trieb wie wir Männer. Die wollen nur angebetet werden. Bewunderungshuren – das nenne ich entartet.«
    Er betrachtet die Krebse auf seinem Teller. »Und wie soll ich das jetzt bitte machen?«
    Seine Gattin pult für ihn Krebse aus der Schale und legt sie ihm hin.
    »Und was ist dann unser Bürgermeister Lueger?« sagt sie pulend.
    »Der nicht heiratet, damit er für alle Weiber verfügbar bleibt und sie ihn als Traumbräutigam wählen, wie er selber sagt? Ist das nicht die oberste Hure?«
    Waerndorfer zuckt erschöpft die Achseln. »Ach, laßt uns doch mal von etwas anderem reden als von diesen ganzen Liebesdingen.«
    Altenberg sieht ihn an. Aus seinem Bart tropft Krebssud. »Was sagst du da? Von Liebesdingen? Hier war doch nicht von Liebe die Rede, keine Sekunde.«
    »Sondern?«
    »Vom Vögeln«, sagt er. »Und das ist eine Pissoirangelegenheit.«

    In dieser Minute zerrt ein nackter junger Mann seine Hose hoch. Er will sie schließen, was nicht gelingt, weil seine Erregung dem im Wege steht. Die Wut verzerrt sein Gesicht. »Du betrügst mich. Ich spüre es. Du hast es gestern wieder für ihn gemacht. Lüg mich nicht an. Er war in dir drin.«
    Vor ihm liegt seine nackte Geliebte, und er sieht sie an, als grauste ihm vor ihr. Sie zieht einen Zipfel der Decke, die über dem Sofa liegt, über ihren Schamhügel, ihre Schenkel. »Du bist verrückt«, sagt sie. »Und du bist ungerecht.«
    Er nimmt einen verfleckten Kittel vom Wandhaken |181| und zieht ihn über, so daß sein Unterleib mit der offenstehenden Hose verdeckt ist. »Geh. Hau ab. Mach die Beine breit für ihn.«
    Er geht ans Fenster und starrt in die Nacht. Daß sie weint, kann er nicht sehen. Er reißt das Fenster auf. Eiskalt zieht es herein. Die Frau auf dem Sofa zittert. Doch er redet nur ins Dunkle hinaus. »Es war gestern keinerlei Anlaß. Du hattest keinen Grund. Ihm ging es wunderbar. Das war doch ein seelisches Laubhüttenfest für ihn. War ja schon unappetitlich, wie er geglänzt hat hinterher, rausgebacken in Selbstzufriedenheit. Als Zweifler ist er mir entschieden lieber. Aber wenn du dann noch …«
    »Nicht so laut«, sagt sie. »Bitte! Bitte! Mach wenigstens das Fenster zu.«
    »Also: Warum hast du dich wieder zu seiner Hure gemacht?« Er dreht sich um und schaut auf ihren frierenden Körper, als sei der ihm völlig fremd.
    »Du spinnst. Er ist mein Mann«, sagt sie und reibt mit dem Handrücken die Tränen weg.
    »Ich bin dein Mann. Ich! Ich! Ich!« schreit er und schlägt sich mit den Fäusten auf die Brust. »Er hat seine Rechte auf dich verwirkt. Und du betrügst mich mit ihm.«
    Mathilde richtet sich auf, legt sich die schwere grüne Sofadecke um und schleicht zu dem Becken an der Wand. Aus dem ovalen kleinen Spiegel darüber sieht ihr im Halbdunkel ein müdes Gesicht entgegen. Dabei hat sie sich heute, bevor sie zu ihm ging, wie zu einem Fest vorbereitet. So leicht hatte sie sich gefühlt, als sie zu ihm gewandert war durch das letzte Licht, das die schäbigsten Fassaden vergoldete. Ja, sie war sich sogar schön vorgekommen, noch in dem Augenblick, als sie |182| nackt vor ihm stand, weil sie sich, was fast nie geschah, Zeit genommen hatte für sich und ihren ganzen Körper eingeölt hatte, bis zu den Zehen. Es war gestern gut gegangen, das Konzert mit Werken Schönbergs und auch seiner Schüler. Schließlich war es ihnen gelungen, die Öffentlichkeit so gut wie ganz auszuschließen und nur solche Kritiker reinzulassen, die ihre Meinung üblicherweise nicht brüllend oder pfeifend zum Besten gaben. Sein Vorzeigeschüler Webern hatte für sein Klavierquintett heftigen Applaus kassiert, die Jonasz hatte Arnolds komplizierte Klavierstücke perfekt hingelegt, Loos hatte hinterher, als alle aus dem inneren Kreis in der Liechtensteinstraße noch bei einer Ananasbowle versumpften, eine Hymne auf Arnold vorgetragen, auf seine göttliche Radikalität, in der sich seine Radikalität als Architekt spiegle. Und dann hatte Arnold sich gegen halb zwei Uhr morgens, wie üblich, seinen Lohn geholt bei Mathilde. Den Lohn für die ausgestandene Angst.
    »Was hätte ich ihm denn sagen sollen?« Sie sagt es leise in den Spiegel.

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