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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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reaktionär.«
    Altenberg steht schief, weil er auf dem Grund seiner tiefhängenden rechten Jackentasche nach etwas Rauchbarem gräbt. »Reaktionär? Na ja, in dem Fall war der Junge, wie du weißt, ein Künstler, der sich mit allen angelegt hat, und der treffsichere Ehemann – also reaktionär ist der wohl kaum. Jeden läßt er wissen, daß er niemals den Dreckskerl von Lueger wählen würde, schon weil der ein schleimiger Antisemit sei.« Er hat eine zu zwei Dritteln gerauchte Zigarre aufgestöbert und sucht nun nach Zündhölzern in der linken Tasche. »Übrigens soll die Gattin ganz in Wiener Werkstätte eingerichtet sein.«
    Waerndorfer schaut um sich, aber keiner der übrigen Gäste interessiert sich für das, was der Hausherr mit dem Mann in Wolljacke und ausgebeulter Karohose |172| beredet. »Soll das heißen, du hältst ein Duell nicht für reaktionär, sondern für eine gute Lösung?«
    »Was soll die Frage? Natürlich nicht. Schon weil so ein Duell völlig hilflos ist. Das Frontale hat immer etwas Hilfloses«, sagt Altenberg und zieht an dem Stummel. »Außerdem ist es ungerecht, denn üblicherweise geht der Falsche drauf.« Die beiden sehen sich nicht an, stehen aber nah nebeneinander und starren auf die Schlangen, ohne sie wahrzunehmen. Ein kindgroßes Dienstmädchen kommt und hält vor der weißen Schürze einen Deckelkorb, aus dem es quiekt. »Nicht jetzt«, sagt Waerndorfer, »bitte nicht jetzt.«
    »Es ist sieben Uhr. Da soll ich sie doch füttern.«
    Waerndorfer winkt sie unwirsch weg. »Der Falsche? Welches ist denn der Falsche? Der Ehemann oder der, mit dem sie – fremdgeht?« Waerndorfer zieht sein Taschentuch heraus, wischt seine Stirn und seine Handflächen so gründlich ab, als seien sie verschmutzt.
    »Na ja, wenn die Frau mit dem Kerl nur ihre Langeweile weggevögelt hat und sonst nichts von ihm will, fällt der Mann tot um, und sie hat den Schmarotzer am Bein und langweilt sich mit ihm. Und wenn der Mann einer ist, den sie nur bei sich reinläßt, weil er halt ihr Mann ist, und sie den Kerl wirklich liebt, haut es mit Sicherheit den Kerl um. Und der Gatte erinnert sie dann jeden Tag freudig daran, daß er ihre heiße Liebe kaltgemacht hat.«
    Frau Waerndorfer mit ihrem keuschen weißen Gesicht, ebenmäßig bis in die Brauenbögen, gerahmt von glattem, in der Mitte gescheiteltem Haar, hat den An- und Abtransport des Schlangenfutters beäugt und sprüht Orangenblütenwasser in die Luft.
    Das Dienstmädchen ist ohne Korb wieder aufgekreuzt |173| und mit gesenktem Kopf neben Waerndorfer getreten. »Holen Sie den Schlüssel«, sagt er zu ihr, dreht sich um und seufzt, den Blick nun auf die Gästeschar gerichtet: »Ach, Peter, was weißt du schon davon? Ich ahne es: so reaktionär es auch sein mag – ein Duell, das kann befreiend sein. Und ich bin sicher, es gibt mehr Männer, als du glaubst, die am liebsten …«
    Altenberg neigt sich zu Waerndorfers Ohr: »Du schaust doch auf deine Frau. Hat sie’s gehört? Und ist sie blaß geworden?«
    Frau Waerndorfer in ihrem rotem Samtkleid wird ein rotes Samtetui überreicht. Sie blickt kopfschüttelnd zu ihrem Mann hinüber, der noch immer bei den Schlangen steht. »Also, ich weiß nicht«, sagt sie zu den etwas angespannten Gästen, »was Fritz mit diesen Schlangen will. Ich glaube, er bildet sich ein, das sei der nötige Kitzel in diesem perfekten Haus«, sagt sie, öffnet das Etui, entnimmt ihm einen Schlüssel und geht auf die Wand zu. Die meisten haben die beiden Türen darin nicht bemerkt. Nur die Scharniere und das Schlüsselloch unterscheiden sie von der Vertäfelung ringsum. Frau Waerndorfer schließt auf und öffnet die Flügel. Und da steht sie, splitternackt, die glasigen wasserblauen Augen auf die Schaulustigen gerichtet. Ihr Gesicht unter dem Wust roter Locken ist spitz, ihre Lippen sind ahnungslos, auch ihre Brüste sind noch mädchenhaft. Doch ihr Bauch wölbt sich so prall und melonenrund nach vorn, daß man befürchtet, sie könnte das Gleichgewicht kaum halten auf den dünnen Beinen.
    Auch der Gastgeber und Altenberg sind hinzugetreten. »Eine Ikone der Weiblichkeit«, stöhnt Waerndorfer. »›Hoffnung‹ hat Klimt sie genannt.«
    |174| Die Gäste werden still. Nur Altenberg sagt vernehmbar: »Allmählich verstehe ich diesen Gerstl. Ikone der Weiblichkeit! Dieses Pathos, über dem die sexuelle Befriedigung in Vergessenheit gerät. Und das ist ja der Sinn: Mit einer Ikone muß man nicht reden. Und schlecken oder ganz normal vögeln

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