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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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Lächeln Kerttu. »Wer bist denn du?«
    »Hat Eeva etwa nicht von mir erzählt?« Ihr Blick heftet sich auf mich, ihre Stimme klingt aufrichtig enttäuscht. »Du erzählst also nicht von mir!«
    »Eeva erzählt das, was sie will, zu einem Zeitpunkt, den sie selbst bestimmt«, sagt der Mann. Jetzt sieht er mich an.
    »Her mit dem Wein«, sagt Kerttu schnell.
    Der Mann nickt der Bedienung zu.
    Kerttu stiftet mich zum Toilettengang an. »Ich sehe doch, was los ist, du brauchst es gar nicht abzustreiten. Und bilde dir bloß nicht ein, das wäre etwas Neues! Das hat es auf der Welt schon Millionen Mal gegeben.«
    »Bist du böse auf mich?«
    »Wieso sollte ich?«
    »Weil er verheiratet ist.«
    »Ehen sind was für Feiglinge.«
    Kerttu sieht mich eindringlich an. »Du musst mir seine Freunde vorstellen, er kennt doch diese ganzen Leute. Ich würde zum Beispiel gerne mit dem Dichter reden.«
    »Ich würde dir nicht raten, mit ihm zu reden, hast du nicht gehört, wie schnell der zum Standesamt will?«
    »Aber er denkt nach«, sagt Kerttu. »Er hat mehr Ahnung als die anderen.«
    »Wieso das, und wovon überhaupt?«
    »Von der Solidarität der Völker.«
    »Aha.«
    Kerttu schweigt einen Moment. Dann fragt sie: »Liebst du ihn? Ist es schon so weit?«
    »Was, wenn ja? Bist du auch gegen die Liebe?«
    Kerttu umarmt mich. »Nein, bin ich nicht. Nicht gegen die Liebe.«
    Am Tisch provoziert Kerttu ihn. »Was trägst du eigentlich zur Verbesserung der Welt bei? Was machst du neben deiner Malerei?«
    Er ist es gewohnt, herausgefordert zu werden, er wird an Kneipenabenden oft gefragt, wie er die Welt sieht, was für Ansichten er hat. Kerttu weiß, dass er sich in Kreisen bewegt, in denen neue Dinge entstehen. Sie will jeden Funken von diesem beginnenden Feuer erhaschen, am liebsten möchte sie die Funken sogar selbst hervorbringen.
    »Was soll ich deiner Meinung nach neben meiner Malerei noch machen?«
    »Das musst du selbst wissen. Außerdem kennst du doch die ganzen Leute.«
    »Meinst du die da hinten?« Er schaut zum Ecktisch am anderen Ende des Raums, wo eine Gruppe Männer ­gerade ein feuchtfröhliches Lied anstimmt. »Ich gehöre nicht zum engeren Kreis, sie verraten mir ihre Ideen nicht.«
    Ich kenne seinen Spott bereits, er zeigt sich in der Mundpartie, aber Unbekannte halten das oft für ein Lächeln.
    »Wenn’s hochkommt, darf ich mit ihnen auf den Abend anstoßen«, fügt er hinzu.
    »Was ist deine Meinung zu Vietnam?«, fragt Kerttu kritisch.
    Sie denkt noch immer, dass er zur Frontriege der Protestbewegung gehört, weil er den Dichter und andere Leute kennt. Vietnam ist die Schlüsselfrage.
    Er lacht kurz auf. »Deine Fragen sind ganz schön groß.«
    »Die Welt ist nun mal groß.«
    »Zu Vietnam kann ich nicht mehr sagen, als dass ich gegen Krieg bin«, sagt er. »Was die Amerikaner dort machen, ist nicht richtig.«
    Kerttu nickt. »Und?«
    »Aber das heißt nicht, dass ich auf der Seite der amerikanischen Gegner stehe.«
    Kerttu ist enttäuscht, schaut trotzig, leert ihren Wein in einem Zug. Sie denkt nach. Sie sucht nach dem empfindlichsten Punkt, dem härtesten Satz. »Dass du ein Gemälde von Schjerfbeck mit dem Motiv zur Wand gestellt hast, macht dich nicht weniger bürgerlich. Wegen Leuten wie dir, wegen der erbärmlichen Mittelklasse geht die ganze Welt den Bach runter. Direkt in die Kanalisation.«
    Er lacht verblüfft auf und schaut kurz zu mir, ihm ist klar, dass ich Kerttu von dem Bild erzählt habe. »Was müsste denn deiner Ansicht nach passieren?«, fragt er gereizt.
    »Man müsste Pläne schmieden. Seine Stimme erheben. Singen oder tanzen oder was auch immer, sichtbar werden! Wieso versteckst du dich in deinem Atelier? Wieso unternimmst du nichts?«
    »Jetzt hör mal zu«, sagt er. »Ich habe das alles schon gesehen. In Paris. Da hast du noch deine Schulbücher mit dir herumgeschleppt. Und ich habe gesehen, dass es zu nichts führt. Politik und Kunst gehören nicht zusammen, sie schwächen sich gegenseitig. Die Kunst wird leer, wenn sie einer bestimmten Doktrin folgt. Das ist meine Erfahrung. Das Beste für die Kunst ist es, wenn sie offen ist für alle Sichtweisen.«
    Kerttu fällt kein Gegenargument ein. Der Mann fragt mich mit seinem Blick: Wer ist sie eigentlich, deine hitzige Freundin? Ich würde gern eine Erklärung liefern. Aber Kerttu mag es nicht, erklärt zu werden.
    »So viel also dazu«, sagt er. »Und die letzte Runde trinken wir jetzt zu Ehren unserer unterschiedlichen Meinungen.«
    Der

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